Das Geheimnis der versteinerten Traeume
sieht du aber nicht aus.«
»Das liegt am Licht.«
»Du kommst mit uns.«
»Wohin?«
»Jeder Eindringling wird festgenommen und verhört. Befehl vom König.«
»Ich bin deutscher Staatsbürger und habe meine Rechte.«
»Nicht hier.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Ergeht es dir schlecht.«
Ich bin vom Regen in die Traufe gekommen, dachte Leo. Er blickte sehnsüchtig zum Wasserfall. Die Drusenkammer war verschwunden. Das Traumtor musste sich wieder geschlossen haben. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg aus der heiklen Situation. Das einsilbige Hyänenschwein Galf machte nicht den Eindruck, als würde es ein Auge zudrücken. Sollte er sich von den Wächtern abführen lassen? Nach allem, was Orla über den König von Illúsion erzählt hatte, wäre sein Leben dann wohl keinen Pfifferling mehr wert. Das Ganze erschien ihm wie ein bizarrer Albtraum. Ob er sich noch mal die Nase zuhalten und kräftig ausatmen …?
»Er wird nicht mitkommen. Hack ihm die Rübe ab, Flath«, sagte der Wortführer zu seinem Kumpan.
Der Befehl war wie eine zweite kalte Dusche für Leo, die ihn schlagartig hellwach werden ließ. Adrenalin schoss in sein Blut. Er entdeckte zu seinen Füßen einen spitzen Stein. Während das Hyänenschwein mit erhobener Axt auf ihn zukam, bückte er sich rasch danach, hob ihn auf und holte zum Wurf aus. Besser als nichts, dachte Leo, und wünschte sich, es wäre ein Wurfspieß.
Als der Stein seine Hand verließ, verwandelte er sich in einen Speer, zischte durch die Luft und traf mit unglaublicher Kraft den Torhüter. Flath wurde regelrecht gepfählt.
Galf wich erschrocken zurück. »Du bist ein Verwandler«, zischte er.
Leo erkannte die Chance in der Überraschung des anderen. Nur, was sollte er tun? Einfach wegzulaufen konnte er wohl vergessen. Das Biest war sicher ein ausdauernderer und schnellerer Jäger. Weitere Steine befanden sich auch nicht in Griffweite. Zu
allem Übel lebte die aufgespießte Kreatur sogar noch und versuchte – ein groteskes Bild – auf ihn zuzukrauchen. Dabei zog sie eine blutige Spur hinter sich her und gab heulende Laute von sich, die ihm eine Gänsehaut bescherten. Irgendwie musste er Zeit schinden, bis sich eine Möglichkeit zur Flucht ergab.
»Zieht Leine, ihr hässlichen Hyänenschweine. Ihr legt euch mit dem Falschen an«, rief er.
Galf grunzte und Flath jaulte Grauen erregend. Beide blickten nervös zum Traumtor.
Unwillkürlich folgte Leo ihrem Beispiel. Ob es ihm etwas nützen würde, wenn er unter den Wasserfall floh …? Er stutzte. Hatte er da gerade wieder kurz die Drusenkammer gesehen? Vielleicht waren ja seine Geistesblitze der Schlüssel zum Öffnen des Tores. Eben hatte er seine Wortschöpfung zum ersten Mal laut ausgesprochen, indem er die Wächter als Hyänenschweine bezeichnete.
Der Wind wehte einen Schleier feiner Tröpfchen herbei und über dem Felsen erstrahlte ein Regenbogen. Leo packte die Gelegenheit beim Schopf. Er stellte sich einen schillernden Lindwurm vor, der allein aus Gischt und Licht bestand. Sobald das haushohe Ungetüm deutlich vor seinem inneren Auge stand, löste es sich aus der Fantasie und wurde Teil der Wirklichkeit.
Zufrieden wandte sich Leo zu den Wächterkreaturen um und lächelte. »Klarheit schafft Wahrheit.« Mit dem Daumen über die Schulter deutend, fügte er hinzu: »Das ist übrigens eine Regenbogenschlange . Beim geringsten Versuch mir zu folgen, wird sie euch verschlingen.«
Die Wirkung dieser Drohung war verblüffend. Galf duckte sich, als habe ihm jemand eins mit einer großen, unsichtbaren Fliegenklatsche überzogen. Flath hörte sogar mit dem Krauchen auf und jaulte ein weiteres Mal.
Jetzt oder nie!, dachte Leo und rannte los.
Unvermittelt rutschte er auf dem schlüpfrigen Felsbuckel aus, stolperte, stieß einen spitzen Schrei aus und fing sich wieder ab. Bis zum Sturzbach waren es nur wenige Schritte. Er drehte sich um. Galf hatte seine Starre überwunden und nahm knurrend die Verfolgung auf. Die Regenbogenschlange machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuhalten. Wütend hieb er mit seiner blitzenden Axt ein großes Loch in ihren Leib. Auch Flath kämpfte sich trotz des Spießes über den nassen Stein.
Das Traumwasser rauschte auf Leo herab und die Wächter verschwammen vor seinen Augen. Blindlings stürzte er durch den Wasserfall.
Als Leo in der Drusenkammer herauskam, warf er den Kopf herum. Kein einziger Wassertropfen spritzte von ihm weg. Er war überhaupt nicht nass. Das Traumtor stand
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