Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Schuppe!«, stieß er aufgeregt hervor.
»Ich sagte Spucke , nicht Schuppe.«
»Ja. Hab ich auch verstanden. Die Seejungfer hat mich aber nicht angespuckt, sondern … äh … beschenkt. Zum Abschied. Ich hab die Schuppe dabei.«
»Dann her damit!«
Er kramte hektisch in seiner rechten Hosentasche und fand ein Papiertaschentuch. Danach wechselte er zur linken. Nichts außer ein paar Geldscheinen. Die Gesäßtaschen förderten ebenfalls kein »Pflaster« zutage. Er hätte aus der Haut fahren können.
»Was ist?«, fragte Orla.
»Ich find sie nicht.«
»Jetzt dreh nicht gleich durch und denk noch mal nach. Hast du’s schon mit der kleinen Tasche vorne rechts versucht? Ich steck da immer meine Münzen rein.«
Er schloss die Augen und stöhnte. Natürlich, die Taschenmessertasche! An die hatte er in der Aufregung gar nicht mehr gedacht. Er griff hinein und da war die Nixenschuppe. Ein ganzes Bergmassiv fiel ihm vom Herzen. »Das ist sie«, sagte er und zeigte Orla seinen Schatz.
»Leg sie auf die Wunde.«
»Einfach so?«
»Tu, was ich sage. Das Gift wartet nicht.«
Seine Hand zitterte, als er die Schuppe zwischen Daumen und
Zeigefinger nahm und auf das Loch legte. Sie war angenehm kühl. Sofort ließ der Schmerz nach. Was danach passierte, hätte er nie für möglich gehalten.
Die Schuppe schien zu zerfließen. Sie verband sich nahtlos mit den Wundrändern. Binnen weniger Sekunden hatte sie die Verletzung vollständig verschlossen. Zurück blieb ein heller Fleck, der im Licht einer nahen Lampe perlmuttartig schillerte.
»Sieht aus, als hättest du noch mal Glück gehabt«, sagte Orla. Wie selbstverständlich streifte sie sein Hosenbein wieder nach unten und reichte ihm die Hand, um ihm auf die Füße zu helfen.
Er trat ein paar Mal fest auf. Nicht der kleinste Schmerz war mehr geblieben. »Diese sonderbare Narbe«, fragte er, »wird die bleiben?«
»Schätze ja. Das ist so bei den Träumen, die man verwirklicht. Sie verändern einen, nicht immer zum Besseren.«
»Ich bin ganz froh über die Schuppennarbe.«
Sie schmunzelte. »Wie war sie denn so?«
»Wer?«
»Die Seejungfer.«
»Na ja … Es ging so. Sie hat dir geähnelt.«
»Für die Bemerkung müsste ich dir eigentlich in die Wade treten.«
Er grinste verlegen. »Du bist viel hübscher als die Nixe.«
Aus unbewegter Miene sah sie ihm in die Augen. »Sagst du das jetzt, um dich vor dem Tritt zu retten?«
»Nein. Es ist mein Ernst. Gleich, als ich in Salem angekommen bin und dich sah, dachte ich: Wow, wenn’s hier solche Mädels gibt, muss ich wohl echt in der Traumakademie gelandet sein.«
Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. »Du kannst ja richtig süß sein. Danke.«
Leo hatte das Gefühl, ein Bienennest im Bauch zu haben. Er zuckte die Achseln. »Schon okay.« Halb bedauerte er es, halb war er froh, als Orlas ungewöhnliche Augen endlich von ihm abließen.
Sie blickte in den finsteren Nebentunnel. »Wir sollten allmählich verschwinden. Der Wächter wird mich zwar kaum offen angreifen, verlassen will ich mich darauf aber nicht.«
»Mir kam es vor, als habe er einen Heidenrespekt vor dir.«
»Kann schon sein. Ich bin auch nicht ganz untalentiert.«
»Dürfte wohl die Untertreibung des Jahrhunderts sein. Mädchen, die im Traumkörper durch Wände spazieren, trifft man nicht alle Tage. Was machen wir jetzt?«
»Ich schätze, der Wächter wird versuchen seinen Gegenpart auf dieser Seite des Tores zu finden.«
»Okumus?«
Sie nickte. »Der gute Osmund rangiert in meiner Kandidatenliste nach wie vor ganz oben.«
»Könnte es sein, dass er unter den Schülern einen Handlanger hat?«
»Du denkst an Mark Schröder?«
»Er hat vorgestern versucht, mein Gehirn zu grillen.«
»Was?« Orla wirkte erschrocken.
»Der Kerl hat mir einen abartigen Traum verabreicht und zum Schluss den ganzen Datenspeicher des Traumlabors hinterhergeschoben.«
»Ein Overload?«, fragte sie ungläubig. »Und das hast du überlebt?«
»Die DreamCap ist durchgeschmort.«
»Unmöglich. Die Ströme sind viel zu gering …«
»Das meinte Okumus auch. Ist aber trotzdem passiert.«
»Wahrscheinlich war er enttäuscht.«
»Den Eindruck hat er eigentlich nicht auf mich gemacht.«
Orla schüttelte den Kopf. »Glaub mir, wenn er der Wächter ist und Mark sein Scherge, dann sind die beiden jetzt deine Todfeinde. Das war ein Anschlag auf dein Leben, Leo, oder zumindest auf deine Gesundheit. Sie haben sicher nicht damit gerechnet, dass der
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