Das Geheimnis der versteinerten Traeume

noch offen. Zum Glück. In seiner kopflosen Flucht hätte er leicht in Inférnia landen können. Ungeachtet dessen war sein Winkelzug kein echter Befreiungsschlag gewesen.
    Denn hinter dem Vorhang des herabrauschenden Sturzbaches näherte sich Galf.
    Leo wirbelte schreiend herum und rannte los. Als er den Ausgang der Kammer erreichte, hörte er ein Platschen. Das Hyänenschwein war jetzt in der Druse. Er lief weiter, ohne sich umzusehen. Seltsamerweise war von dem Wächter kein Laut mehr zu hören. Vielleicht hatte er zum ersten Mal ein Traumtor durchquert und war verwirrt.
    Einige gehetzte Schritte lang glaubte Leo tatsächlich, er könne der Kreatur entkommen. Dann vernahm er hinter sich das Klicken ihrer Klauen auf dem felsigen Boden. Er drehte sich um. Das Hyänenschwein holte rasch auf. Ohne die beflügelnde Wirkung
des Traumes war es ein ungleiches Rennen. Kurz bevor er den nächsten Quertunnel erreichte, wandte er sich abermals um.
    Galf war dicht hinter ihm. Er hatte das Maul aufgerissen, die Zunge hing ihm seitlich heraus. Soeben machte er einen großen Satz.
    Leo gewahrte zur Rechten die Dunkelheit des Nebenganges und warf sich mit einem Hechtsprung hinein. In der Luft drehte er sich nach dem Hyänenschwein um. Es riss gerade den Kopf herum und bohrte ihm einen seiner Hauer in die Wade. Leo brüllte vor Schmerz. Dann krachte er mit dem Rücken gegen die Wand des Nebentunnels und fiel zu Boden.
    Der Aufprall war nicht so mörderisch wie das, was danach kam. Während er darum kämpfte, nicht in Ohnmacht zu fallen, beugte sich Galf über ihn.
    »Wer macht hier wem Beine?«, knirschte der Wächter mit seinem gänsehauterregenden Glassplitterorgan. Von seinen Lefzen tropfte schleimiger Geifer. Er hob die Pranke mit der Axt.
    Plötzlich schoss ein Blitz um die Ecke. So zumindest schien es Leo, obwohl es nur eine Hellebarde war. Sie schlug Galf die Waffe aus der Hand; klirrend fiel die Streitaxt zu Boden.
    »Ich hack dir am besten sofort deine Stelzen ab«, sagte Orla und stach zu.
    Der Wächter konnte dem Stoß mit der Hellebardenspitze ausweichen und knurrte wütend. Die Illúsierin setzte ihm unerschrocken nach. War sie tatsächlich in der Lage, mit dem schweren Ding gegen seine Klauen und das mörderische Gebiss anzukommen? Vielleicht besaß sie mehr als nur diese sichtbare Waffe, dachte Leo, denn Galf wagte nicht, sie anzugreifen.
    »Wir sehen uns wieder«, knirschte das Hyänenschwein, drehte sich um und lief in den dunklen Gang.
     
    »Wie geht es dir?«, fragte Orla. Sie hatte die Hellebarde in Griffweite an die Wand gelehnt. Ihre Augen waren auf Leos Wade gerichtet. Der Jeansstoff um das Loch hatte sich mit Blut vollgesogen.
    Nur ein Kratzer, hätte er am liebsten mit der Standardantwort aller Helden gesagt, aber er fühlte sich nicht wie ein Held. »Mir ist kotzübel und ich habe das Gefühl, mein halbes Bein ist abgerissen.« Er saß auf dem Höhlenboden und schielte in das Dunkel, das die Albtraumgestalt Galfs verschluckt hatte.
    »Lass mich mal sehen.« Sie begann, behutsam das Hosenbein hochzustreifen. »Womit hat der Wächter dich erwischt?«
    »Mit einem seiner Hauer.«
    »Sieht echt übel aus«, stellte sie nach Begutachtung der Wunde fest. Ihre Miene war auffallend ernst.
    »Das heilt doch wieder, oder?«, fragte er besorgt.
    »Willst du die weichgespülte Antwort oder die nackte Wahrheit ?«
    »Du kannst der Wahrheit ja einen Stringtanga anlassen.«
    »Das Bein bist du los …«
    »Was?!«, ächzte er. »Das muss man doch mit ’ner Tetanusspritze, Nadel und Faden wieder hinbekommen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Der Wächter war ein Traumgeborener. Wenn so einer dich verletzt, bekommst du einen Wundbrand, der dich umbringt, sofern du nicht …«
    »Ich lasse mir meinen Körper nicht wegen so eines Kratzers verstümmeln«, unterbrach er sie zum zweiten Mal. Jetzt hatte er also doch das heldenhafte Wort gesagt.
    »Ließest du mich nur ein einziges Mal ausreden, könnte ich dir von der Alternative erzählen.«
    »Alternative? Du meinst so was wie Rettungsplan B?«
    »So ungefähr. Eine Wunde von einem Traumgeborenen kann
nur mit einem Pflaster von einem anderen Traumgeborenen geheilt werden. Am besten einer, den du selbst erschaffen hast.«
    »Ein Pflaster?«
    »Musst du eigentlich alles wiederholen, was ich sage, als wärst du ’ne Schallplatte mit ’nem Sprung? Das mit dem Pflaster war nicht wörtlich gemeint. Es geht auch was anderes. Spucke soll schon wahre Wunder gewirkt haben.«
    »Eine