Das Geheimnis der versteinerten Traeume
von Kadavern. Wie es schien, hatte kein Einziger von Refi Zuls »Kettenhunden« überlebt.
Dalmud trat mit seinem gewaltigen Schwert ans Ufer und rief: »Kommt aus dem Wasser raus, Kinder. Ihr holt euch ja den Tod.«
B enno war im Eis gefangen und starrte die drei mit großen Augen an. Stumm, anklagend, völlig bewegungslos. Ob er überhaupt noch lebte?
Leo machte sich Vorwürfe. Er musste sich zwingen, dem gequälten Blick des Eingefrorenen standzuhalten. Seine Rechte umklammerte einen etwa drei Handbreit langen, durchsichtigen Rattenstachel. Zähneknirschend kämpfte er gegen das Gefühl an, nicht genug für seinen Freund getan zu haben. Nur, wie hätte er die Igelratte aufhalten sollen? Er verspürte eine Stinkwut im Bauch wegen der eigenen Hilflosigkeit. Und vor allem grollte er demjenigen, der das Stachelmonstrum erschaffen hatte. Unbewusst zerrte Leo so heftig an dem Eiszapfen, dass dieser unvermittelt abbrach.
»Komisch«, wunderte er sich.
»Was?«, fragte Orla. Während Leo sofort zu Benno gelaufen war, hatte sie zwischen den toten Federechsen nach Mark gesucht. Eben erst war sie zur Igelratte zurückgekehrt. Mit seinem Pullover. Er war zerrissen. Sein Besitzer, hatte sie berichtet, sei wie vom Erdboden verschluckt.
Leo zeigte ihr den Stachel. »Er ist kalt wie Eis und klar wie Eis, aber er schmilzt nicht.«
»Weil der Riesenigel ein Traumgeborener ist«, erklärte Dalmud
und deutete auf das dunkelblaue Kleidungsstück in Orlas Händen. »Der andere Junge, dem das da gehört … Wie hieß er gleich?«
»Mark«, sagte Orla.
»Ja. Er scheint ein Wassermann zu sein, ein Schlafverwandler, der sich darauf versteht, Wasser umzugestalten.«
Gedankenversunken steckte sich Leo die Eisspitze in den Gürtel und ging noch dichter an die Igelratte heran. Sein Gesicht war höchstens dreißig Zentimeter von der schreckensstarren Fratze seines Zimmergenossen entfernt. »Ob er mich sehen kann? Ich habe das Gefühl … Ahhh! « Leo schreckte zurück. Das Eis war plötzlich vor Bennos Mund beschlagen. »Habt ihr das gesehen?«
»Ja«, antwortete Dalmud. »Euer Freund lebt! Orla, bringe mir schnell etwas Traumwasser.«
»Ich habe kein Gefäß.«
»Tränke den Wolllumpen damit und halte ihn immer in Bewegung. Und jetzt geht aus dem Weg, Kinder.« Er zückte sein gewaltiges Schwert.
Leo erschrak. »Aber …«
»Keine Sorge«, sagte Orla. »Onkel Dalmud weiß, was er tut.« Sie lief zum Bach.
Die Klinge fuhr auf die Ratte nieder und grub eine tiefe Schrunde in ihren Bauch. Mit weiteren kraftvollen Schlägen hackte der Alte sich rasch näher an den Eingeschlossenen heran. Bei jedem Treffer zuckte Leo zusammen.
Als der Panzer schon sehr dünn geworden war, kehrte Orla mit Marks klitschnassem Pullover zurück. Der gute Dalmud stach sein Schwert in den Waldboden, nahm ihr das triefende Bündel ab und drückte es mit beiden Händen auf den zerfurchten Leib der Igelratte.
Zwei, drei Atemzüge später begann sie zu vibrieren.
Leo wandte sich Orla zu und flüsterte: »Was macht er da?«
»Er lenkt Traumenergie ins Eis und bringt es zum Schwingen. Wenn er die Eigenresonanz des Körpers gefunden hat, kann er ihn aufbrechen.«
Das Zittern nahm zu. Risse bildeten sich im Eis. Dutzendweise brachen Stacheln ab und klirrten zu Boden. Plötzlich barst der Panzer an seiner dünnsten Stelle entzwei. Benno fiel dem Alten in die Arme. Keuchend rang er nach Luft.
»Ich schätze, er kommt wieder in Ordnung«, sagte Orla kühl. Sie blickte zum Wald hinüber.
Leo wurde aus ihr nicht schlau. »Was ist los mit dir? Freust du dich nicht über Bennos Rettung?«
»Machst du dir keine Sorgen um Mark?«
»Um den?«, schnappte er. »Der hat die Federechsen doch zu uns geführt.«
»Bist du dir sicher?«
»Und ob ich mir sicher bin! Mark hat mein Gehirn gegrillt und wollte Benno ermorden. Der Kerl ist ein fieser Verräter, ein Komplize des Wächters, ein Scherge von Refi …«
»Warum hat sein Monster dann Kowalski angegriffen?«, schnitt sie ihm das Wort ab.
Er blinzelte. »Was?«
Sie deutete auf den Rotschopf, der mittlerweile auf dem Boden saß und noch zu benommen wirkte, um ihr Gespräch mitzuverfolgen. »Der König von Illúsion will nicht den plattfüßigen Feuermelder da ausschalten, sondern dich, Leo. Wieso stürzt sich die Bestie auf ihn?«
»Na, weil Benno ihr im Weg stand.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Möglich. Vielleicht sind die Dinge aber auch anders, als sie scheinen.«
Benno erholte sich
Weitere Kostenlose Bücher