Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
tauchte Orla aus den Staubwolken auf und stand wie eine Steinfigur neben ihm. Ihr Gesicht war maskenhaft starr, die Schulkleidung nicht mehr blau, sondern beigebraun.
    »Danke«, krächzte Leo. Er wäre wegen seiner Aufschneiderei am liebsten im Boden versunken.
    Das Mädchen schüttelte sich den Staub aus dem Haar. »Du hast ja keine Ahnung, wie anstrengend das ist. Beim nächsten Mal fliegst du gefälligst wie jeder normale Traumschmied.«
     
    Der Wald endete ungefähr zweihundert Schritte hinter der Schlucht. Das Tal war hier breit geworden und die Hänge zu beiden Seiten flach. Der Bach schlängelte sich zwischen großen, bemoosten, rund geschliffenen Felsbrocken hindurch. Die drei Wanderer aus Salem marschierten am linken Ufer entlang. Benno lief ein Stück vor seinen Klassenkameraden. Unter ihnen lag in der Ferne ein sanft geschwungener Küstenstrich, dahinter glitzerte bis zum Horizont die See.
    »Das ist das Chaos?«, staunte Leo. »Hab ich mir irgendwie … chaotischer vorgestellt.«
    »Der Chaos«, betonte Orla. »So wie der Ozean …«
    »Aber es heißt das Meer.«
    »Willst du mir etwas über Illúsion beibringen?«, fragte sie spitz.
    »Entschuldige.«
    »Zul hat ihn so genannt, als er noch Timaios war. Er sagte den Illúsiern, aus dem Süßwassermeer entstünde alles Neue. Eigentlich ist es ja das Traumwasser, das dort hineinfließt … Was war
das? « Orla verharrte auf der Stelle und deutete mit der Waffe zu einem moosbedeckten Felsen, der ein Stück unterhalb aus dem Erdreich ragte.
    »Ich habe nichts …« Leo verschlug es die Sprache, als hinter dem Stein unvermittelt ein Halbwüchsiger hervortrat, der wie sie die Salemer Schulkleidung trug. Er hatte sich die Ärmel seines blauen Pullovers um die Hüfte geschlungen. Wütend funkelte er Benno an, der kaum mehr als zehn Schritte von ihm entfernt war.
    »Schröder?«, schrie der Rotschopf fassungslos.
    »War ja klar, dass Pumuckl Kowalski dahintersteckt«, stieß Mark verächtlich hervor.
    »Verräter!«, brüllte Benno und ging mit geballten Fäusten auf den Älteren los.
    Mark blieb ruhig stehen. Er spitzte nur die Lippen und spukte aus, so als wolle er dem Mitschüler seine Geringschätzung zeigen. In Wahrheit war es ein eiskalter Gegenangriff.
    Der durch die Luft fliegende Speichel wuchs explosionsartig zu einer riesigen, glasklaren Gestalt heran. Leo erschauerte. Die Bestie ähnelte einer fetten Ratte, was bei einem Rattenhasser wie ihm allein schon heftige Ekelattacken auslöste. Aber es kam noch schlimmer. Das Geschöpf besaß einen übergroßen Kopf, war gewaltiger als ein Elefant, hatte Stoßzähne wie ein solcher und lange Stacheln am ganzen Körper. Das Bizarre an der Kreatur war ihre Durchsichtigkeit. Sobald sie ihre endgültige Form angenommen hatte, machte sie einen großen Satz, direkt auf Benno zu.
    Der hatte sich schreiend umgedreht, blickte hilfesuchend seine Gefährten an und versuchte zu fliehen. Vergeblich. Nach dem ersten Schritt war die Igelratte über ihm. Sie riss ihr riesenhaftes Maul auf und verschlang den Jungen in einem Stück.

    Mit einem Schrei, der wie klirrendes Eis klang, warf sie den Kopf zurück, stieg mit den Vorderläufen hoch und schlang ihr Opfer herunter. Man konnte durch den stachellosen Bauch deutlich erkennen, wie Benno mit weit aufgerissenen Augen ihren engen Schlund durchquerte und im Magen landete.
    Mit einem Mal erstarrte die Igelratte. Reglos wie eine Eisskulptur verharrte sie auf ihren Hinterbeinen.
    »W-was ist jetzt?«, stammelte Leo. Er stand wie angewurzelt neben Orla. Alles war so schnell gegangen.
    »Ich nehme an, das Biest verträgt keine Feuermelder«, antwortete sie leise, während ihre Blicke die Umgebung auskundschafteten. »Oder Benno besitzt Talente, von denen wir noch nichts wissen.«
    »Wonach suchst du?«
    »Hier ist irgendetwas falsch«, flüsterte sie.
    »Ach, und ich dachte, es sei normal, dass der Wächter uns seinen Häscher hinterherschickt. Komm, wir müssen Benno helfen!«
    »Warte!« Sie hielt Leo am Arm fest.
    »Was ist denn noch?«
    »Mark ist verschwunden.«
    »Wahrscheinlich hat er vor deiner Hellebarde Angst …«
    »Nein«, wisperte sie. »Wir werden beobachtet. Das ist eine Falle. Schnell zurück in den Wald!«
    Widerstrebend ließ er sich von ihr mitziehen. Er konnte nichts Beunruhigendes entdecken, von seinem Freund einmal abgesehen, der nach wie vor mit Schreckensmiene kopfunter im glasklaren Leib der erstarrten Stachelbestie hing. Unvermittelt stieß er mit

Weitere Kostenlose Bücher