Das Geheimnis der Wellen
war ein egoistischer, gefühlloser Mistkerl. Und sein Sohn Edwin ein herzloser Fiesling. Sie hatten nicht das Recht, ein Leben wie das von Violeta zu zerstören. Das ist leider nicht Geschichte. So sind Menschen.«
»Abra, ist dir eigentlich klar, dass wir über jemanden streiten, der seit fast zweihundert Jahren tot ist?«
»Worauf willst du hinaus?«
Eli fuhr sich übers Gesicht. »Warum einigen wir uns nicht auf Folgendes: Wir haben dieselben Schlüsse gezogen, nämlich, dass Roger und Edwin Landon kaltherzige, sture, opportunistische Mistkerle waren.«
»Das klingt schon besser.« Sie kniff die Augen zusammen. »Du glaubst also, dass es die Mitgift gegeben hat, dass sie mit Broome an Land gespült wurde, dass Edwin Broome ermordet und die Mitgift gestohlen hat.«
»Na ja, sie war ohnehin Diebesgut. Aber ja, genau das glaube ich. Ich glaube, dass er sie gefunden und behalten hat.«
»Aber wo ist sie dann, verdammt noch mal?«
»Daran arbeiten wir noch. All unsere Überlegungen sind jedoch Makulatur, wenn unsere Grundannahmen nicht stim men. Ich muss Violetas Sohn aufspüren.«
»Wie?«
»Ich kann es selbst tun, was ewig dauern würde, da ich mich auf diesem Gebiet nicht auskenne. Aber es gibt Hilfsmittel, ein paar gute Ahnenforschungsseiten im Internet. Oder ich spare mir das und beauftrage einen Fachmann damit. Ich kenne einen. Wir waren mal befreundet.«
Aha, also jemand, der sich von Eli abgewendet hat, dachte Abra. Obwohl er logisch vorging, merkte sie, dass er durchaus nachfühlen konnte, was Violeta durchgemacht hatte. Er wusste, wie es sich anfühlte, verstoßen, verachtet und ignoriert zu werden.
»Willst du wirklich Kontakt zu ihm aufnehmen?«
»Darüber habe ich schon vor Wochen nachgedacht, es aber wieder verdrängt. Nein, eigentlich will ich das nicht. Aber ich werde versuchen, aus Violetas Schicksal zu lernen. Wenn es hart auf hart kommt, sollte man vergeben können.«
Sie ging zu ihm, nahm sein Gesicht in beide Hände. »Du musst immer noch gefeiert werden. Ich gehe nach unten und kümmere mich darum. Wir sollten die Briefe an einem siche ren Ort aufbewahren.«
»Das mache ich schon.«
»Wo hat Edwin diese Briefe deiner Meinung nach aufbewahrt, Eli?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Landons dazu neigen, alles aufzubewahren. Vielleicht hat er sie ins Geheimfach der Kommode gesteckt, um ihren Inhalt zu vergessen.«
»Aus den Augen, aus dem Sinn. Genau wie Violeta.« Abra nickte. »Was für ein bemitleidenswerter Mann.«
Bemitleidenswert? Das wagte Eli zu bezweifeln. Edwin Landon war ganz bestimmt ein eingebildeter Mistkerl gewesen. In jeder Familie gab es schwarze Schafe.
Er suchte die Telefonnummer seines alten Bekannten her aus und zückte sein Handy. Vergebung, merkte er, war nichts, was einem leichtfiel. Aber Pragmatismus.
Vielleicht würde das mit der Vergebung noch kommen. Und wenn nicht, würde er wenigstens erfahren, was er wollte.
28
Mit hochgestecktem Haar und aufgekrempelten Ärmeln sah Abra von ihrem Gratin auf, für das sie gerade Kartoffelscheiben in eine Form schichtete, als Eli die Küche betrat.
»Und, wie war das Telefonat?«
»Unangenehm.«
»Das tut mir leid, Eli.«
Er zuckte nur mit den Schultern.
»Eher für ihn als für mich. Ehrlich gesagt, kannte ich vor allem seine Frau. Sie arbeitet als Rechtsanwaltsgehilfin in meiner alten Kanzlei. Er unterrichtet Geschichte in Harvard und beschäftigt sich nebenbei mit Ahnenforschung. Wir haben ein paar Mal im Monat zusammen Basketball gespielt und Bier getrunken, mehr nicht.«
Aus Abras Sicht sollte das eigentlich genügen, um sich loyal und mitfühlend zu zeigen.
»Wie dem auch sei, nach anfänglichem Gestotter und über triebenen Freudenbezeugungen hat er sich bereit erklärt, mir zu helfen. Ich glaube, er hat sogar so ein schlechtes Gewissen, dass er die Sache bevorzugt behandeln wird.«
»Gut. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit.«
»Warum will ich ihm dann trotzdem eine reinhauen?«
Sie warf einen Blick auf die Kartoffel, die sie gerade heftig attackiert hatte. Sie wusste genau, wie er sich fühlte.
»Wieso stemmst du nicht lieber ein paar Gewichte? Das macht Appetit auf gefüllte Schweinekoteletts, Kartoffel gratin und grüne Bohnen in Mandelbutter. Ein echtes Festmahl.«
»Vielleicht hast du recht. Ich sollte den Hund füttern.«
»Das ist bereits erledigt. Barbie liegt auf der Terrasse und behält die Leute im Auge, die ihrer Meinung nach in ihrem Vorgarten spielen.«
»Ich sollte
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