Das Geheimnis Des Amuletts
vielleicht würde retten können. Meine Mutter – unsere Feindin – die Priesterin – oh, es war so gefährlich! Ich hatte Angst, aber ich war auch aufgeregt, erfüllt von einem Sturm aus quälenden Hoffnungen und Träumen, und jeden Tag bat ich die Mächte um ein Zeichen.
Meine häufige Abwesenheit erklärte ich Evie damit, dass ich mich ins Kunststudio zurückziehen würde, um ein Projekt für den Unterricht von Miss Hetherington vorzubereiten. Kunst und Musik und solche Sachen waren die einzigen Fächer, in denen ich nicht total schlecht stand, daher vermute ich, dass Evie mir glaubte. Allerdings lag mir die Lüge schwer im Magen. Man sollte Freunde nicht anlügen. Hätte ich Evie jedoch die Wahrheit gesagt, hätte sie sich furchtbare Sorgen gemacht. Ich konnte ihnen von dieser Sache nichts erzählen, und daher log ich, in dem Wissen, dass sie und Sarah sich ein bisschen entspannen würden, was ihre Sorge um mich betraf. Sie würden zu den Ställen gehen und Josh und Cal treffen, ohne mich, die Seltsame, mit sich herumschleppen zu müssen.
Es störte mich nicht, dass die vier auf eine Weise verbunden waren, wie es mir gegenüber nie der Fall sein würde. Ich wollte, dass sie glücklich waren. Es machte mir Freude, an Sarah und Cal zu denken, an Evie und Josh … schon allein die zusammengehörenden Namen waren für mich wie ein Gedicht; ein Lied voller Versprechungen für eine bevorstehende glückliche Zukunft. Eines Tages würde Evie Josh vielleicht genauso lieben wie er sie. Ein Stück von Evies Herz war für immer bei Sebastian Fairfax, dessen tragische Geschichte mit der von Agnes und dem Hexenzirkel und dem langen Fluch verbunden war, der auf Wyldcliffe lastete. Evie klammerte sich immer noch an die Erinnerung an Sebastian, aber ich wusste, dass ihr Herz groß genug war, um wieder jemanden lieben zu können, und daher hoffte ich, dass Joshs Geduld irgendwann belohnt werden würde. Ich wünschte mir einfach, dass zumindest die Geschichten meiner Freundinnen ein glückliches Ende finden würden, auch wenn ich dazu ausersehen war, einen einsameren Pfad zu beschreiten.
Eine weitere Schulwoche neigte sich dem Ende zu. Es war Freitagabend, was bedeutete, dass wir uns auf ein Wochenende freuen konnten, an dem die ansonsten herrschenden strengen Regeln etwas gelockert wurden. Sarah und Evie hingen mit den Jungs bei den Ställen herum, aber ich erklärte ihnen, dass ich noch einen Entwurf beenden müsste. Ich tat, als wollte ich wirklich zum Kunststudio gehen, hielt den Zeichenblock etwas verlegen an mich gepresst. Kaum war ich jedoch außer Sichtweite, schob ich den Block in meine Tasche und schlug eine andere Richtung ein. Ich musste zu den Umkleideräumen gehen; dort würde mich niemand sehen. Auf dem Weg dorthin kam ich an den kleinen Übungsräumen für Musik vorbei. Ich hörte eine luftige, wilde Musik, eine leichte, fröhliche Melodie. Meine Seele erhob sich wie ein Vogel, der über die Moors glitt. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an meinen Wanderer. Es war, als würde mich seine Stimme in der Musik rufen.
Ich blieb abrupt stehen und schob ohne nachzudenken die Tür zum nächsten Übungsraum auf. Der Musiklehrer Mr. Brooke sah verärgert hoch. Ich störte seine Unterrichtsstunde, die er allerdings nicht mit einer Schülerin von Wyldcliffe hatte, sondern mit einem Jungen. Er war vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Ich konnte nicht genau erkennen, wie er aussah, nur dass er groß und schön und schlank war. Sein Blick begegnete meinem, und er lächelte, während er aufhörte zu spielen. Er hielt eine silberne Flöte in den Händen.
»Tut mir leid«, sagte ich und schlug die Tür wieder zu.
Während ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen, spielte der Junge weiter. Einen Moment lang stand ich einfach nur da, verlor mich in der Schönheit der Musik, erinnerte mich an das Lächeln des Jungen, an das kühle Strahlen seiner Augen, an die langen, einfühlsamen Finger, die auf der glänzenden Flöte ruhten. Aber meine Mutter rief nach mir, und ihre Stimme löschte alles andere aus. Ich riss mich los und eilte zu den Umkleideräumen, die in einem hinteren Winkel der Schule untergebracht waren. Als ich dort ankam, waren sie leer, wie ich gehofft hatte. Jetzt konnte ich entkommen.
Dies war meine einzig wahre Gabe: Ich besaß die Fähigkeit, die unsichtbaren Geister der Luft anzurufen und sie zu bitten, mich auf ihren verborgenen Pfaden zu tragen. Wenn ich spürte, wie ich verändert wurde, die
Weitere Kostenlose Bücher