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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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das Schild und zog es mit Leichtigkeit von der Mauer, warf es in den Graben. Niemand würde an diesem Ort sterben oder verletzt werden; weder meine Freundinnen noch Celeste, noch Velvet, noch irgendjemand sonst von ihnen, solange ich noch atmete und der Geist von Lady Agnes Templeton über die Abtei wachte.
    Ich ging um das Haupthaus herum und zum Hintereingang des Gebäudes, wo der alte Flügel genau im rechten Winkel zur Terrasse lang und niedrig herausragte. Hier war das Klassenzimmer von Miss Scratton gewesen, und ich blinzelte durch die Bogenfenster ins Innere. Miss Clarke erteilte gerade Lateinunterricht, betrachtete die Schülerinnen mit nichts sehenden, glasigen Augen. Die Mädchen beugten sich alle über ihre Arbeiten, methodisch und wohlerzogen und sinnentleert. Jeder Lebensfunke, jede Individualität war durch den Bann der Priesterin unterdrückt. Und dabei war das nur eine Warnung, ein Vorgeschmack auf den Schrecken, der noch in dieser Nacht kommen würde, wenn es mir nicht gelang, ihn aufzuhalten.
    Da ich Sarah und Evie finden wollte, schlich ich mich weiter um das Gebäude herum bis zu einer der Seitentüren, durch die ich ins Innere huschte. Ich wollte nicht, dass jemand vom Hexenzirkel mich sah. Ich vermutete zwar, dass sie mich in Ruhe lassen würden – im Vertrauen darauf, dass ihre Mistress mich mit ihren schrecklichen Forderungen in die Enge getrieben hatte –, aber ich konnte mir nicht sicher sein. Ich befand mich in der Nähe der Umkleideräume und erinnerte mich daran, wie ich beinahe vor Velvets Freundinnen aus der Luft aufgetaucht wäre und nur Velvet mich gesehen hatte. Vielleicht konnte ich mich auf den geheimen Pfaden vor den Blicken des Hexenzirkels verbergen; vielleicht waren ihre Augen gegenüber so vielen Dingen blind und würden in die Reinheit der elementaren Mysterien nicht hineinsehen können.
    Ich griff tief in mein Inneres nach den wirbelnden Kräften der Luft, die sich um mein Herz zusammenzurollen schienen. Mit gewaltiger Willenskraft zog ich mich von der festen Welt um mich herum zurück und suchte die Zwischenräume: Wechsel, Übergang, die Passage von einer Dimension zur nächsten. Ich kauerte in den geheimen Lücken, ohne Wyldcliffe zu verlassen oder irgendwo anzukommen. In den heimlichen Strömungen der Luft verborgen, konnte ich mich unbemerkt von Miss Dalrymple, Miss Schofield und den anderen Schwestern der Dunkelheit, die für ihre Mistress durch die Schule patrouillierten, fortbewegen.
    Es tat weh zu sehen, wie zweihundert Mädchen geräuschlos den Tag verbrachten, als wären sie bereits tot. Sie waren wie Geister, eine verzerrte Vorspiegelung von Jugend und Hoffnung. Sie sprachen und lernten und gehorchten jedem Glockenschlag, der in den schwach beleuchteten Korridoren erklang, hielten sich an jede Regel und jeden Brauch. Aber in ihren Augen war keinerlei Leben.
    Als der Morgen vergangen war und der Nachmittag sich näherte, bestand mein einziger schwacher Trost darin, dass ich wusste, wir hatten Recht gehabt, Miss Hetherington und Miss Clarke zu vertrauen. Sie waren ebenfalls beide unter den tiefen Bann der Priesterin gefallen, was bewies, dass sie nicht Teil des Hexenzirkels sein konnten. Und die immer verärgerte deutsche Lehrerin war niemals eine Schwester der Dunkelheit gewesen, ebenso wenig wie die Hausverwalterin oder die Frau, die die Leitung der Wäscherei innehatte, und andere wie sie … sie alle waren unschuldig, schlafwandelten alle in einem Wirklichkeit gewordenen Alptraum durch das Haus, in dem all die alltäglichen Gespräche verstummt waren.
    Evie und Sarah waren nur noch leere Karikaturen ihrer selbst. Ich näherte mich ihnen ungesehen, erhielt aber keinerlei Antwort, als ich versuchte, ihren Geist zu lesen. Ich versuchte sogar, Velvet zu wecken, in der Hoffnung, dass ihr hitzköpfiges Wesen dem Fluch der Priesterin hatte standhalten können, aber obwohl sich ihre Augen einen Moment weiteten, als ich ihr heimlich etwas ins Ohr flüsterte, versank sie sofort wieder in Benommenheit und verhielt sich genauso marionettenhaft wie alle anderen. Die Priesterin war so schlau gewesen, mir vierundzwanzig Stunden zu gewähren, um mich zu entscheiden. Dieser kurze Tag gab mir einen bitteren Vorgeschmack darauf, wie es sein würde, wenn meine Freundinnen und alle anderen Schülerinnen von Wyldcliffe wirklich Gebundene Seelen wären. Jetzt waren sie alle nur hypnotisiert worden, aber wenn ihre Seelen erst ausgesaugt worden waren, würden sie in einem Zustand,

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