Das Geheimnis Des Amuletts
Wir waren herausgekommen, also würde ich vielleicht auch hineinkommen … ich glitt von Seraphs Rücken und schob das Fenster hoch. Ein paar Augenblicke später hatte ich das Empfangszimmer durchquert und stand in der schwarzweiß gefliesten Eingangshalle, die immer noch im Dunkeln lag. Nicht mehr lange jedoch, und die Schule würde erwachen. Ich musste mich beeilen. Der neue Tag würde beginnen, und die Wyldcliffe-Mädchen würden sich wie Zombies ihrem immer gleichen Tagesablauf widmen, ohne zu wissen, dass sie unter der Kontrolle der Frau standen, die einmal für ihre Bildung und ihr Wohlergehen verantwortlich gewesen war. Mein Instinkt sagte mir, dass weder die Priesterin noch Dr. Franzen im Gebäude waren, aber ich wollte auch nicht von Miss Dalrymple oder einer der anderen Schwestern der Dunkelheit erwischt werden. Ich fand rasch, was ich gesucht hatte, steckte es unter meinen Pullover und ging zurück zum Empfangszimmer und weiter zum Fenster, durch das ich ins Freie kletterte. Ich stieg wieder auf Seraph, die geduldig wartete, und trieb sie den Zufahrtsweg entlang zum Galopp. Wir flogen an den uralten Bäumen vorbei, und ich musste mich an ihre Mähne klammern, meine Finger tief in sie hineingraben. Ich konzentrierte mich mit all meinen Fähigkeiten auf das eisengeschmiedete Tor ein Stück voraus, und die beiden Flügel öffneten sich, um uns durchzulassen. Während wir weiter den Weg entlangritten, hörte ich in der Abtei eine Glocke klingeln, aber ich beachtete sie nicht, sondern ritt weiter zum Dorf und zu dem grauen Friedhof, auf dem ich – wie ich wusste – Cal finden würde.
Beim Kirchentor ließ ich mich von Seraphs Rücken gleiten und führte die Stute zu Agnes’ Grab. Ich erinnerte mich daran, dass ich das letzte Mal mit Lynton hier gewesen war. Wenn er nur jetzt bei mir sein könnte … ich hoffte inständig, dass er von Dr. Franzen und den Schwestern der Dunkelheit nicht allzu schlimm verletzt worden war. Ich versuchte, mich damit zu beschwichtigen, dass sie vorsichtig sein würden, da sie gezwungen wären, St. Martin’s irgendeine überzeugende Geschichte darüber aufzutischen, wie er sich die Stirn aufgeschlagen hatte. Sofern er überhaupt zur Schule zurückgekehrt war, meine ich. Wenn Lynton allerdings wirklich …
Dann sah ich Cal neben der Engelsstatue knien. Er hatte die Augen geschlossen, betete also entweder oder war tief in Gedanken versunken. Sein Pferd fraß gemächlich an dem langen Gras, das zwischen den schiefen Grabsteinen wuchs.
»Cal«, rief ich leise. Er sprang sofort auf, und sein Gesicht erhellte sich, als er mich sah. Dunkle Ringe unter den Augen kündeten jedoch von zu wenig Schlaf.
»Helen! Wo ist Sarah? Ich war gerade unterwegs zur Schule, um sie zu treffen.«
»Cal. Es tut mir so leid.« Dann kam der Moment, den ich so gefürchtet hatte. Ich musste ihm sagen, was mit Sarah passiert war, musste versuchen, es besser klingen zu lassen, als es tatsächlich war. »Es ist so ähnlich, als würde sie einfach nur schlafwandeln, und Evie auch. Ich weiß, dass wir ihnen helfen können …«
Aber Cal stand reglos da, als wäre er vom Blitz getroffen. »Du meinst, sie ist von der Priesterin verflucht worden? Und wird als Nächstes in eine Gebundene Seele verwandelt? So wie diese Laura?« Er gab einen schrecklichen Schrei von sich. »Das werde ich nicht zulassen! Ich werde diese Frau mit bloßen Händen töten, wenn sie Sarah etwas antut. Ich schwöre dir, ich werde sie jagen und töten.«
»Der Tod ist noch zu gut für sie, Cal. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass sie so am Leben ist wie wir; sie kann nicht sterben.«
»Aber sie kann andere zu einem trostlosen Dasein als lebende Tote verdammen!«, sagte er mit gequälter Stimme. »Und du hast das auch noch einfach so zugelassen!«
»Nein, Cal, das habe ich nicht, das schwöre ich.«
»Du warst da – du hättest es verhindern können.« Er starrte mich argwöhnisch an; sein ganzer Roma-Stolz blitzte in seinen dunklen Augen auf. »Wieso hat die Priesterin dich nicht auch genommen? Wirst du von ihr bevorzugt, weil du ihre Tochter bist? Ist das der Grund, weshalb du nicht das qualvolle Schicksal von Sarah und Evie teilst?«
»Sie möchte, dass ich die elementaren Kräfte für sie entschlüssele, als Gegenleistung für die Sicherheit der anderen.«
»Aber das darfst du nicht tun! Sie wird nur noch gefährlicher werden, als sie sowieso schon ist.«
»Ich weiß, aber wenn ich es nicht tue, werden Sarah und Evie und all
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