Das Geheimnis Des Amuletts
sie herum aus. Sie kümmerte sich um einen verwundeten Krieger – einen Ritter, dessen Kopf in ihrem Schoß lag und dessen goldene Haare blutverschmiert waren. Es wirkte wie in einem Märchen; dann veränderte sich das Bild erneut, wurde real, und Agnes hockte in einem dunklen, schmutzigen kleinen Raum, wusch den Kopf eines jungen Mannes und flüsterte beruhigend. Es war Josh, und er war krank, aber Agnes war bei ihm. »Alle Kreise treffen sich. Alle Pfade kreuzen sich«, flüsterte sie. Dann löste sich das Bild auf und setzte sich wieder zu dem vertrauten Portrait des jungen aristokratischen Mädchens mit den roten Haaren und den grauen Augen zusammen.
»Cal, Josh lebt«, freute ich mich. »Und er ist bei Agnes – sie hat ihn in Sicherheit gebracht.«
»Aber wo sind sie? Wie können wir sie finden?«
»Ich glaube, ich weiß, wo sie sind. Ich habe dieses Zimmer schon einmal gesehen. Es ist der verborgene Raum im Dachspeicher von Fairfax Hall. Sebastian hat sich dort versteckt, als er dabei war zu verblassen und sich im Griff der Unbesiegten Lords befunden hat. Es war sein Elternhaus, zu dem er zurückgekehrt ist, als er Probleme hatte, aber Evie hat herausgefunden, wo er sich versteckt hatte, und wir sind alle hingegangen, um ihm zu helfen.«
»Und wo ist dieses Fairfax Hall?«
»Westlich vom Upper Moor. Reite hin, Cal, und nimm Seraph mit – dann kannst du Josh auf ihr zurückbringen, wenn es ihm gut genug geht. Und beeil dich!« In der Zwischenzeit war der Morgen angebrochen. Die Sonne war hinter den schweren Wolken aufgegangen, und die Luft war kalt, die Zeit schritt voran.
Cal umarmte mich kurz, dann stieg er auf sein Pferd und nahm die Zügel von Seraph, um die Stute mitzunehmen. »Kümmere dich um Sarah, bis ich zurückkomme«, sagte er, als er wegritt.
»Komm so bald wie möglich zur Abtei!«, rief ich ihm nach. Während ich allein zurückblieb, war noch eine Weile das Hufgetrappel aus der Ferne zu hören. »Danke, Agnes«, sagte ich und bückte mich, um das Bild aufzuheben. Ich wollte ihr Portrait nicht in die Schule zurücktragen und damit erwischt werden, aber ich wollte es auch nicht auf ihrem Grab liegenlassen. Also lief ich zu der verwitterten grauen Kirche. Die Tür stand auf, und ich schlüpfte ins Innere. Drinnen roch es nach Stein und Blumen und poliertem Holz, und es war sehr still, als wäre die Zeit stehengeblieben. Die hölzernen Kirchenbänke, die aufgestapelten Gesangbücher und die verblassten Fahnen über dem Mittelgang – der Ort schien sich seit Agnes’ Lebzeiten nicht verändert zu haben. Ich ging den schmalen Gang entlang und stellte das Bild am Fuß des Altars ab. Es kam mir vor, als wäre es genau der richtige Platz. Ich wollte mich gerade abwenden, als ich Schritte hinter mir hörte.
»Kommt sie dann also zurück?«
Ich wirbelte herum. Eine alte Frau in einem formlosen blauen Mantel und mit Schrubber und Eimer in den Händen nickte in Richtung des Gemäldes. Offenbar hatte ich eine der Gläubigen gestört, die zum Saubermachen herkamen.
»Wer … was meinen Sie?«
»Die Lady«, sagte die Frau. »Sie wird eines Tages wiederkommen. Um uns zu retten.« Dann lachte sie leise in sich hinein. »Sie weiß, was die Leute tun. Sie sieht alles. Mehr als der Reverend in seinem Haus da drüben. Er ist nicht in Wyldcliffe geboren. Aber sie schon. Lady Agnes. Sie weiß es.«
»Ja«, sagte ich weich. »Ich glaube, das tut sie.«
»Ja.«
Die Frau stellte den Eimer zufrieden mit lautem Geklapper ab und begann den Boden zu wischen; sie achtete nicht mehr auf mich, als ich sie ihrer Arbeit überließ.
Sie sieht alles. Ich vertraute darauf, dass Agnes Cal über die Hügel reiten sehen konnte und dass sie ihn dorthin führen würde, wo Josh in ihren heilenden Armen lag. Ich selbst musste jetzt über die anderen von unserem heiligen Kreis wachen. Ich musste zur Schule zurückkehren und nach Sarah und Evie sehen. Ich ging so rasch wie möglich den Weg entlang, hielt den Kopf gegen den kalten Wind gesenkt. Kurz darauf erreichte ich das Tor wieder. Das alte Schild hing immer noch da, war mit ein paar rostigen Nägeln an der Mauer befestigt worden: WYLDCLIFFE ABBEYSCHOOL FOR YOUNG LADIES . Das raue Wetter des Tals hatte die Farbe zum Teil abspringen lassen, so dass einige Buchstaben fehlten, als wären es abgebrochene Zähne. Jetzt hieß es auf schräge Weise: … BE COOL … OR YOU … DIE . Seit meiner Ankunft in Wyldcliffe war das so gewesen. Es hatte lange genug da gehangen. Ich packte
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