Das Geheimnis Des Amuletts
der schlimmer als der Tod war, voller Qual herumwandern – eine furchtbare Vorstellung.
Ich zog mich aus den Pfaden der Luft und den Korridoren der Schule zurück und begab mich zur Grotte, um mich dort zu verbergen. Am Morgen war ich noch voller Hoffnung gewesen, als ich Cal gesagt hatte, dass er Josh in Fairfax Hall suchen sollte, aber jetzt stieg Panik in mir auf. Es war nur noch so wenig Zeit, und ich hatte immer noch keinen anderen Plan. Wieder ging ich alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Sollte ich versuchen, die Priesterin anzugreifen, bevor sie nach Wyldcliffe zurückkehrte? Aber ich wusste ja noch nicht einmal, wo sie sich aufhielt oder wie ich ihre Verteidigung durchbrechen konnte. Genau in dem Moment, als ich schließlich das Siegel geöffnet und einen Teil seiner Macht gesehen hatte, hatte sie es mir entrissen – und hatte ich ohne das Siegel überhaupt die Möglichkeit, sie in einem offenen Konflikt zu besiegen? Oder sollte ich tun, was die Priesterin verlangte, und einen Weg finden, wie ich ihr unsere elementaren Kräfte übertragen konnte, in der verzweifelten Hoffnung, dass sie dann wirklich weit weggehen und meine Freunde in Frieden lassen würde? Beide Möglichkeiten erschienen mir gleichermaßen schrecklich. Sarah und Evie konnten mir bei meiner Entscheidung nicht helfen, und Agnes, Cal und Josh waren noch in Fairfax Hall. Die Priesterin hatte die Schlüssel gestohlen. Miss Scratton war gestorben. Ich wusste nicht einmal, wo Lynton war, und wie hätte mir ein bezaubernder Musiker jetzt auch helfen können? Auf wen sonst – oder auf was sonst? – konnte ich jetzt noch zurückgreifen? Was hatte ich noch, womit ich mich verbinden könnte?
Das Buch. Das war unsere Verbindung mit Agnes und Sebastian. Sie waren kaum älter gewesen als wir, als sie an genau dieser Stelle in Lord Charles’ phantasievoller Höhle gestanden und die Seiten durchgeblättert hatten, auf der Suche nach Wahrheiten und Kräften und neuen Lebensmöglichkeiten. Das Buch. Es war vollgepackt mit Wissen über den Mystischen Weg, und es hatte uns nie im Stich gelassen, noch nicht.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich wusste jetzt, was ich brauchte, aber ich hatte keine Ahnung, wo ich es finden konnte. Sarah versteckte es normalerweise in den Ställen, aber sie hatte es in der Nacht des Neumonds mit in die Höhle genommen. War es Kundar gelungen, in der Verwirrung nach der Ankunft der Priesterin mit dem Buch zu entkommen? Oder hatte er es in den schmalen, lichtlosen Tunneln für immer verloren?
Wenn ich nur mehr Zeit hätte! Schon bald würde die Nacht hereinbrechen, und die Priesterin würde zurückkehren und ihre Drohungen wahrmachen. Selbst wenn ich durch die Luft direkt zum unterirdischen Königreich reiste, um Kundar zu befragen, konnte ich nicht sicher sein, ob er und seine Kinsfolk meinen Ruf rechtzeitig erhören würden. Sie waren Sarahs Volk, nicht meines. Wieder sah ich so klar vor mir, wie sehr wir einander gebraucht hatten. Wir hatten verschiedene Gaben, die zusammen eine ganze Welt voller Möglichkeiten darstellten. Unsere Pfade hatten sich nicht ohne Grund gekreuzt, sondern um das Böse zu bekämpfen, das so lange in Wyldcliffe geschwärt hatte. Und wir waren so weit gekommen – wir konnten jetzt nicht scheitern, nicht jetzt. Ich brauchte nur noch ein bisschen mehr Zeit …
Wenn ich jemals in Schwierigkeiten stecken würde – wenn ich jemals Zeit bräuchte –, würde ich genau hierherkommen. Die Stimme hallte in meinem Kopf wider wie der klare Ruf einer Glocke. Lynton hatte das gesagt, zu einem Zeitpunkt, der jetzt ewig zurückzuliegen schien. Hatte er etwas gewusst? War es nur eine zufällige Bemerkung gewesen? Ich tastete nach dem goldenen Ring an meinem Finger und drehte ihn herum. Wenn ich jemals Zeit brauchte … ich erinnerte mich an unseren Besuch beim Wasserfall, an diesem vollkommenen Herbsttag, und wie er mich mit einer raschen, verwirrenden Bewegung davor bewahrt hatte, in die Tiefe zu stürzen. Versuchte er jetzt, mich zu retten? Jetzt … und jetzt … und jetzt … was glaubte ich wirklich? War Lynton nur ein Schüler, der an einem einsamen Mädchen Gefallen gefunden hatte, oder war er mehr als das?
Mein Herz schlug so heftig, dass es sich anfühlte, als würde es mir fast aus der Brust springen, als ich zu entscheiden versuchte, was am besten war – Kundar oder Cal zu suchen oder diese letzte wilde Reise zu dem Ort zu machen, den Lynton mir damals unbedingt hatte zeigen
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