Das Geheimnis Des Frühlings
kann ich mit absoluter Sicherheit bejahen, denn Rom ist die Stätte von Lorenzos Märtyrertod.«
»Er starb hier? In Rom?« Ich war überrascht. Wenn die Nonnen, die mich in der Bibel unterwiesen hatten, von Heiligen gesprochen hatten, hatte ich immer gedacht, sie hätten weit weg im Heiligen Land gelebt und nicht in Städten, durch die ich selbst in meinen abgewetzten Sandalen trottete.
Bruder Guidos Augen sprühten blaues Feuer. »Ja. In der Nähe der Villa Borgho, nicht weit vom Pantheon entfernt. Dort gibt es sogar einen Schrein, in dem der Bratrost aufbewahrt wird, auf dem er zu Tode geröstet wurde.«
»Sie haben ihn bei lebendigem Leibe geröstet?« Ich hatte Märtyrertum immer zwar edel, aber töricht gefunden, aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, ein Heiliger könnte wie ein Weihnachtsbraten geschmort worden sein.
»Ja. Kennt Ihr die Geschichte nicht?« Sein Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an. Bruder Guido hatte sich vom Edelmann in den Mönch zurückverwandelt. »Die Römer legten ihn auf einen heißen Bratrost, bis sein Fleisch zu brutzeln begann. Dann sprach er mit großer Tapferkeit: >Dreht mich um, diese Seite ist gar.<«
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. »Entschuldigt. Aber das ist wirklich komisch.«
Er lächelte leicht. »Möglich. Zumindest zeigt es, dass die Diener Christi nicht leicht unterzukriegen sind.«
»Gut.« Ich sprang auf. »Worauf warten wir noch? Nichts wie weg hier und auf zu dieser Villa!«
»Nein.«
»Warum denn nicht?«
»Es ist eine gute Idee, Luciana, aber nicht die richtige. San Lorenzo hat mit den Worten unter der siebten Sonne nichts zu tun. Wir denken zu viel an Gott und die Heiligen, aber hier in Rom ist alles anders. Habt Ihr Don Ferrante nicht gehört? Heute Nacht herrschen die alten Götter! Er bezog sich auf die alten Zeiten, die alten Sitten und Gebräuche. Sosehr es mir auch widerstrebt, wir müssen die Christen vergessen und uns den Heiden und ihren Bräuchen zuwenden.«
Ich begriff, was er meinte. »Weil sogar der König hier anders ist?«
»Wie meint Ihr das?« Aber er sah aus, als teile er meine Meinung.
»Nun, in Neapel hat er auf seinem Fest fast das Evangelium gepredigt, hat von Christus gesprochen und seine geschnitzte Krippendarstellung herumgezeigt - kurz gesagt, er hat sich fast so fromm gebärdet wie Ihr. Und kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben - wisst Ihr noch, direkt nach dem Erdbeben? -, da sagte er, es wären die alten Götter gewesen, die die Erde geschüttelt hätten. Und hier in Rom geht es ständig um die alten Römer und heidnische Bräuche und die Macht der Sonne.«
»Ihr habt vollkommen recht. Könnte es sein«, meinte er bedächtig, »dass diese Bibelzitate, mit denen er in Neapel um sich geworfen hat, in Wirklichkeit Hinweise waren, die uns zu der Kirche und der Flotte führen sollten? Er erwähnte Christus auf dem Kalvarienberg...«
»Der uns den Weg aufzeigt!«, entfuhr es mir.
»Und so haben wir die Tür zu der unterirdischen Stadt gefunden - die siebte Kreuzwegstation. Christus’ letzter Gang nach Golgatha, auf der Wand von San Lorenzo Maggiore festgehalten...«
»Aber hier spricht er nur von der Sonne, dem Mond und den Jahreszeiten...«
»Er nimmt uns mit, um eine Mondfinsternis zu beobachten...«
»Und sogar in seinem Rätsel geht es um die Sonne...«
»Sol Invictus!«, krähte Bruder Guido triumphierend. »Der Anhänger, den Venus in der Primavera trägt. Und«, fuhr er fort, »das Gedicht von Marsilio Ficino, aus dem Ihr im Pantheon eine Zeile zitiert habt. Das komplette Zitat lautet: Die Sonne bringt all eure Gedanken und Überlegungen ans Licht , und Venus in ihrer bezaubernden Schönheit verleiht allem Glanz, was zum Vorschein kommt.«
Es passte alles zusammen. Venus verkörperte Rom, sie trug einen Sonnenanhänger. Wir waren auf der richtigen Spur. »Lasst uns das alles noch einmal genau durchdenken«, sagte ich. »Der König brachte uns in eine Kirche...«
»Die einst ein heidnischer Tempel war...« Wir sprachen so schnell, dass wir uns beinahe ins Gehege kamen.
»Und wies uns an, ihn unter der siebten Sonne zu treffen...««
Doch dann brachen wir ab, weil wir merkten, dass wir in eine Sackgasse geraten waren.
Madonna. Diese verwünschte Zahl. Die siebte Sonne. Die siebte Sonne. In der Primavera gab es nur eine Sonne, die auf Venus’ Brust. Nur eine Sonne stand am Himmel. Wo waren die anderen?
Wir saßen schweigend da, zerbrachen uns den Kopf und begannen Sätze nur, um die
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