Das Geheimnis Des Frühlings
Heimatstadt überquerten, musste ich den König bitten, die Kutsche anhalten zu lassen, damit ich meine nagende Furcht durch den Mund entweichen lassen konnte. Als ich danach erschöpft und ausgepumpt an der Balustrade lehnte, fielen mir drei Dinge auf.
Cosa uno: Alles um mich herum war noch genauso schön wie früher, flößte mir jetzt aber nackte Angst ein. Die alte Brücke schimmerte bernsteinfarben im Abendlicht, doch jetzt sah ich unter jedem Bogen gedungene Mörder kauern. Die kupferne Kuppel des Duomo erhob sich noch immer majestätisch über der Stadt, glich aber jetzt einem umgestürzten vergifteten Kelch, dessen Inhalt jeden Stein ringsum mit Bösem durchtränkte. Wir hatten auf unserer Gralssuche viele Länder bereist und waren endlich heimgekehrt, nur um feststellen zu müssen, dass das heilige Gefäß besudelt war. Die unschuldigen Schwalben und Möwen, die die Kuppel umkreisten, hatten sich in Falken und Dohlen auf der Jagd nach Beute verwandelt.
Cosa due: Der Arno roch genauso wie immer, aber jetzt sah ich die aufgedunsenen Leichen frisch vom Galgen geschnittener Verbrecher, die bei Rubinconte in den Fluss geworfen worden waren, in den saphirblauen Fluten treiben. Ein Leichnam,
der mit der Strömung mitgespült wurde, drehte mir sein augenloses weißes Gesicht zu. Ich fragte mich, ob ich ihm bald dort unten Gesellschaft leisten würde. Einen erneuten Übelkeitsanfall unterdrückend, wandte ich mich vom Fluss ab und bemerkte:
Cosa tre: dass Bruder Guido, der die Kutsche mit pantomimisch ausgedrücktem Mitgefühl gleichfalls verlassen hatte, über dem Nachbarbogen hing und ebenfalls den Inhalt seines Magens von sich gab.
Wir waren zu Hause.
Wir wechselten einen hohläugigen Blick, dann gingen wir zur Kutsche zurück. Bruder Guido half mir hinein, und dann mussten wir die besorgten Fragen unserer königlichen Gastgeber über uns ergehen lassen, uns eine Aufzählung von Heilmitteln für unsere Beschwerden anhören und höflich den Vorschlag abwehren, Federn unter unseren Nasen zu verbrennen. Von Bruder Guido wussten Don Ferrante und seine Königin bereits, dass er krank war, denn seit unserer Abreise aus Rom hatte er kein Wort mehr gesprochen und keinen Bissen gegessen. Jetzt bedauerten die beiden, dass ich mich offenbar bei ihm angesteckt hatte, und verliehen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es mir morgen bei der Hochzeit besser ging. Woraufhin mich die Übelkeit erneut zu überwältigen drohte.
Es war nackte, heiße Angst, die mich in der Kehle würgte, denn die Krankheit, die meinen Begleiter quälte, war nicht übertragbar. Er litt unsäglich darunter, dass er sein Leben der Kirche geweiht, sein weltliches Dasein und sogar sein Erbe aufgegeben hatte, nur um am Ende mit der Erkenntnis konfrontiert zu werden, dass die Kirche, die er so idealisiert hatte, korrupt und durch und durch verdorben war wie ein stinkender Fisch. Nur ich allein wusste, dass er mit jenem Seufzer auf dem Petersplatz seinen Glauben in einem langen Atemzug aus seinem Herzen hatte entweichen lassen. Seitdem hatte er nicht mehr gebetet - ganz im Gegensatz zu unserer Anreise, bei der er unaufhörlich den Katechismus vor sich hin gemurmelt
hatte. Nein, auf dem Rückweg war er stumm geblieben wie eine Auster, hatte ebensowenig Litaneien heruntergeleiert wie ich, obwohl ich manchmal am liebsten gebetet hätte - für ihn. Es drängte mich, Gott, wenn es ihn denn gab, anzuflehen, sein wundes Herz zu heilen und ihm zu versichern, dass der Vater allen Seins noch immer im Himmel residierte und über ihn wachte, auch wenn der Vater der Kirche an einem heimtückischen Komplott beteiligt war.
Da wir der Gesellschaft des Königspaares nicht entrinnen konnten, hatten wir kaum Gelegenheit zu vertraulichen Gesprächen. Und waren wir dann einmal miteinander allein, wies Bruder Guido jeglichen Trost zurück und ließ sich jedes Wort förmlich aus der Nase ziehen. Er trank wenig und aß noch weniger. Sein Haar und sein Bart begannen wieder zu wuchern, doch diesmal glich er eher einem Schurken als einem weltentrückten Eremiten, denn die Aura der Frömmigkeit und des Vertrauens in seinen Glauben, die ihn immer umgeben hatte, war verflogen. Ich empfand großes Mitleid mit ihm, aber noch größeres mit mir selbst, denn ohne seinen scharfen Verstand und seine Führung hatten wir das Spiel verloren. Welche Chance hatte ich denn schon, das Rätsel alleine zu lösen?
Als wir die Brücke überquert hatten und auf die Piazza della Signoria rollten, blickte
Weitere Kostenlose Bücher