Das Geheimnis Des Frühlings
wir teilnehmen müssen.«
Mein Verdruss wuchs. Die Erleichterung über die Rückkehr meines Freundes war dem vertrauten Gefühl gewichen, ohne Kerze im Dunkeln herumzutappen. »Das wird sich sicher als äußerst hilfreich erweisen«, giftete ich.
»Gut möglich. Ich vermute nämlich, dass das Bild als Geschenk für den Bräutigam gedacht ist. Vielleicht bekommen wir dann endlich das Original zu Gesicht.«
Dieser Satz beunruhigte mich so sehr, dass ich schlecht schlief und von seltsamen Träumen von Blumen, Karten und Tausenden von Schiffen heimgesucht wurde, die den Tiber hinauf und direkt in meine Kammer segelten. Ich stand an Deck von einem davon, wurde von einer Welle über Bord gespült, tauchte aus der tosenden See auf und sah die Primavera groß, massiv und in leuchtenden Farben erstrahlend auf dem Wasser treiben. Ich zog mich auf das Bild und presste mein Gesicht gegen sein gemaltes Ebenbild, als würde ich in einen Spiegel blicken.
Und in diesem Moment wachte ich auf.
Die Stadt hinter meinem Fenster war in einen goldenen Schein getaucht, die Türme erzitterten vom Geläut der Glocken. Falken umkreisten sie und breiteten ihre Flügel in dem warmen Wind aus, der durch die Läden zu mir hereinwehte. Eine pockennarbige dunkle Römerin betrat den Raum und stellte gekochte Eier, Heringe und einen Krug mit Wasser versetzten Weines neben meiner Bettkante ab. Ich setzte mich mühsam auf. Offenbar wurde von mir erwartet, dass ich mein Frühstück im Bett einnahm, eine neue Erfahrung für mich, denn bislang war dieses Möbelstück für mich immer nur ein Ort für Vergnügungen ganz anderer Art gewesen. Nachdem ich mein Fasten gebrochen hatte, ging es mir schlagartig besser. Die römische Zofe kam zurück, um mir beim Ankleiden zu helfen. In meine strengen schwarzen Gewänder gehüllt, verließ ich meine Kammer. Bruder Guido wartete schon so
ungeduldig vor meiner Tür wie ein junger Ehemann auf das Erscheinen der Hebamme, die seinen Erstgeborenen auf die Welt holt.
»Beeilt Euch, Luciana«, drängte er. »Wir dürfen nicht zu spät kommen. Die anderen warten schon.«
Er führte mich einmal mehr durch die endlosen Gänge des Castels. Kurz darauf begrüßten wir den König und sein Gefolge. Don Ferrante wirkte erfrischt und ausgeruht und verriet mit keinem Blick und keiner Geste, dass er um Mitternacht im Forum eine geheime Unterredung geführt hatte. Stumm folgten wir der Gruppe in eine dunkle, holzgetäfelte Kammer.
Ich zupfte meinen Freund am Ärmel. »Treffen wir gleich wirklich den Papst?«
»Ja.« Er leckte sich über die Lippen, seine Augen flackerten; er brannte innerlich vor Erregung.
»Müssen wir denn nicht den Fluss überqueren, um in die Vatikanstadt zu gelangen?«
»Normalerweise ja. Aber von diesem Treffen soll niemand wissen, daher nehmen wir einen anderen Weg.«
Wieder einmal betrat ich ein Fantasieland, als zwei scharlachrot gekleidete Priester eine schwere Eichenholztür öffneten. Auf einen Wink Don Ferrantes folgte ich ihm und seinem Gefolge in einen Gang, der von in Wandhaltern steckenden Fackeln erleuchtet wurde.
»Der passetto del borgo «, murmelte Bruder Guido. »Ein alter Tunnel, der das Castel mit dem Vatikan verbindet. So erfährt niemand von unserer Audienz bei Seiner Heiligkeit.«
Nachdem wir eine Weile durch das Dunkel gegangen waren, begann eine leise Furcht in mir aufzukeimen, und meine Kehle schnürte sich zu, weil ich den Eindruck hatte, als würden sich die Tunnelwände immer enger um mich schließen. Niemand sprach ein Wort; irgendetwas an diesem Ort und dem feierlichen Ernst, den die Akolythen an den Tag legten, löste Beklommenheit in uns aus. Außer dem Knirschen von Ledersohlen und dem Rascheln von Samt auf Stein war kein Laut zu
hören. Als wir aus dem Tunnel heraustraten, blinzelte ich wie ein Maulwurf, und als sich meine Augen wieder an das Tageslicht gewöhnt hatten, fand ich mich in einer anderen Welt wieder, einem hellen, geräumigen Himmel auf Erden - der Sixtinischen Kapelle, die Papst Sixtus zum Ruhme Gottes hatte erbauen lassen. Mir blieb vor Staunen fast der Mund offen stehen. Bruder Guido hatte recht: Jesus wurde nicht mehr verstohlen in irgendeiner Ecke oder in einem feuchten unterirdischen Loch angebetet. Hier entfaltete sich Gottes Pracht auf Erden ganz offen vor aller Augen. Goldene Engel schwebten an den Säulen zum Himmel empor, Bibelszenen schmückten die Wände. Farben wie diese hatte ich noch nie gesehen: leuchtendes Lapislazuli, Turmalingrün und
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