Das Geheimnis Des Frühlings
ich zu dem mächtigen Turm des Medici-Palastes empor und kam mir vor, als stünden wir im Begriff, eine Löwengrube zu betreten. Der Torbogen, der zu dem ältesten Platz von Florenz führte, glich einem hungrigen Maul, das uns gierig erwartete, und die steinernen Statuen schienen in ihren Ringkämpfen innezuhalten, um zuzuschauen, wie wir verschlungen wurden.
Wir wussten, dass der König und die Königin bei ihrem früheren Feind und jetzigen Freund, Lorenzo de’ Medici, wohnen würden, aber die Einladung war nicht auf »Signore Niccolo« ausgedehnt worden; es wurde vorausgesetzt, dass ein toskanischer Edelmann über eine standesgemäße Unterkunft in Florenz und ein dort wartendes Gefolge verfügte - der
Himmel mochte wissen, wo wir beides auftreiben sollten. Ich blickte zu Bruder Guido, der zusammengesunken am Fenster der Kutsche saß und die Straßen, die er so gut kannte, fast hasserfüllt betrachtete.
»Ich bin wie Daniel«, murmelte er - seine ersten Worte seit Rom.
Ich begriff erschrocken, was er damit meinte, denn obschon wir seit Tagen nicht mehr miteinander gesprochen hatten, gingen unsere Gedanken noch immer automatisch in dieselbe Richtung. Auch ihm war bewusst, dass wir in Kürze in der Löwengrube landen würden.
Als die Kutsche anhielt, erhob ich mich, um auszusteigen, doch die Königin hielt mich zurück.
»Bleibt ruhig sitzen, meine Liebe. Lasst Euch vom Kutscher zum Palazzo der della Torres fahren, das ist bequemer für ihn, da er doch noch so krank ist. Kennt Ihr den Weg?«
Mein Herz flog dieser warmherzigen, gütigen Frau zu. Einen irrwitzigen Moment lang wünschte ich, sie wäre meine Vero Madre und ich könnte mein Gesicht an ihrem gepuderten Busen bergen. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, griff ich wie immer in solchen Situationen zu einer Lüge.
»Sehr gut, Majestät - ein Stück hügelaufwärts, in Richtung San Miniato.« Mir blieb keine Zeit zum Überlegen, daher wies ich, nachdem die beiden königlichen Hoheiten sich von uns verabschiedet und noch einmal betont hatten, dass wir uns ja morgen bei der Hochzeit sehen würden, den Kutscher an, zu Bembos Haus zu fahren, wo ich vor etwas mehr als einem Monat meinen besten Kunden tot aufgefunden hatte.
Als die Kutsche anfuhr, sank ich in meinem Sitz zusammen und sah dem König und der Königin von Neapel nach, die in Begleitung ihres Gefolges die Stufen des Palazzo Vecchio hinaufstiegen. Mein Magen krampfte sich erneut vor Angst zusammen - einer Angst, die sowohl politischer als auch persönlicher Natur war. Zum einen waren Bruder Guido und ich hier in Florenz von einem erbarmungslosen Mörder verfolgt worden
und schwebten vielleicht noch immer in Lebensgefahr, zum anderen schmiedete der junge Spross der Familie Medici und künftige Bräutigam Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici ein Komplott gegen seinen Vetter, Lorenzo den Prächtigen. Ein in Farbe festgehaltenes Komplott, in Rätseln und den Figuren der Primavera verborgen, dem Hochzeitsgeschenk Botticellis für seinen Mäzen. Und jetzt musste ich meinen Freund aus seiner Apathie reißen, damit wir versuchen konnten, unsere Haut und vielleicht auch noch die Stadt zu retten. Aber es stellte sich heraus, dass ich ihn gar nicht bedrängen musste - sobald wir miteinander allein waren, fand er plötzlich die Sprache wieder.
»Dort«, sagte er dumpf. »Dort hat alles begonnen.« Ohne an seine Sicherheit zu denken, spähte er aus dem Fenster und verrenkte sich den Hals, um zu den hohen Mauern des Palazzos emporblicken zu können. Ich sah nur Teile eines Gerüstes, Stuckverzierungen und ein hohes Fenster unter dem Leuchtturm.
»Was meint Ihr, was ich gerade betrachte?«, fragte er dann. Ich war zwar froh, ihn wieder sprechen zu hören, wagte aber nicht, mich aus dem Schatten zu lösen, um selbst einen Blick auf den Palazzo zu werfen, weil ich Angst hatte, von jemandem gesehen zu werden, der mich kannte.
»Dort«, wiederholte er mit vom langen Schweigen krächzender Stimme. »Dort hing einst Jacopo de Pazzi, das Oberhaupt der Familie Pazzi, zusammen mit zweien seiner Brüder; Er wurde zur Strafe für den Mord an Guiliano de’ Medici am Galgen aufgeknüpft. Guiliano wurde damals von ihnen hier in der Kathedrale grausam abgeschlachtet, vor den Augen seines Bruders, Lorenzos des Prächtigen.«
Jeder Einwohner von Florenz kannte diese Geschichte, daher wartete ich ungeduldig darauf, dass er zur Sache kam.
»Und neben ihnen baumelte Francesco Salviati, der Erzbischof von Pisa - ein
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