Das Geheimnis Des Frühlings
andere Ecke des Raumes war mit dickbäuchigen Töpfen, verkorkten Flaschen oder irdenen Tiegeln vollgestopft. Alle waren mit lateinischen Buchstaben beschriftet und stapelten sich fast bis zur Decke. Entlang einer Wand verlief ein weiterer, sauber geschrubbter, mit Feuersteinen, Brennern, Kupferrohren und Destillierkolben, die auf bizarre Weise mit Schläuchen aus Schweinedarm verbunden waren, übersäter Tisch. Noch seltsamer aber war der Kräuterkundige selbst. Er war kleiner als jeder andere Mann, den ich je gesehen hatte, hatte dafür aber die weisesten Augen. Sein Alter ließ sich nicht bestimmen; er konnte schon seit den Zeiten der Kreuzzüge auf dieser Erde wandeln. Seine Wangen waren von unzähligen Furchen durchzogen, und das ihm verbliebene spärliche Haar spross in weißen Büscheln über seinen Ohren und zog sich wie eine flaumige Rüsche um seinen Hinterkopf herum.
Ich überließ es Bruder Guido, unsere Geschichte zu erzählen, und hütete mich, ihn zu unterbrechen, denn ich hatte gleich zu Anfang erkannt, dass der alte Mönch meine Anwesenheit nur widerwillig duldete. Wie fast alle Brüder dieses Klosters hatte er mich in den guten alten Tagen oft an der Seitenpforte gesehen und wusste, dass ich Laster und Unzucht in sein Gott geweihtes Haus brachte. Er sah mich nicht ein einziges Mal an, aber ich nahm es ihm nicht übel; ich war in meinem Leben oft genug gekränkt und beleidigt worden und konnte mit der offen zur Schau getragenen Missbilligung eines Mönches gut leben. Wenn er uns nur half!
Als er endlich das Wort ergriff, klang seine Stimme unerwartet tief. Ein starker paduanischer Akzent schwang darin mit. Wenn es ihn überraschte, einen Franziskanernovizen, der vor einem Monat spurlos verschwunden war, in den Gewändern eines Edelmanns, in Begleitung einer stadtbekannten Dirne und mit einer unglaublichen Geschichte im Gepäck wieder auftauchen zu sehen, so zeigte er es nicht. Und was er sagte, traf mitten ins Herz von Bruder Guidos Qual. »Du bist ganz
sicher, Bruder, dass Seine Heiligkeit einer dieser sieben Verschwörer ist?«
»Daran besteht kein Zweifel, denn er trug den Ring, den sie alle am linken Daumen tragen: mein Onkel, Don Ferrante von Neapel, der Papst und ich selbst jetzt auch, wie Ihr seht.«
Bruder Nikodemus betrachtete den im Feuerschein schimmernden Goldreif. »Und wenn du bei der morgigen Hochzeit einen solchen Ring an Lorenzo di Pierfrancescos Hand siehst, ist das für dich ein Beweis dafür, dass er gegen seinen Vetter intrigiert?«
»Ja.«
Bruder Nikodemus verstummte, und als er wieder zu sprechen begann, wurde mir klar, dass er dieselbe Angewohnheit hatte wie Bruder Guido: Sein Verstand, der wesentlich schneller arbeitete als der anderer Männer, siebte die Informationen nach bestimmten Gesichtspunkten und filterte das heraus, was andere vielleicht übersehen oder als unwichtig abgetan hätten.
»Sieben Verschwörer, nicht acht?«, vergewisserte er sich. »Und in diesem Bild sind acht Figuren zu sehen?«
»Ja.«
Der Kräuterkundige nickte. »Eine böse Sache.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf.
Bruder Guido verstand das als Stichwort und begann seinen ganzen Kummer vor dem alten Mann auszubreiten, als habe er seinen Beichtvater vor sich. »Bruder, ich irre in einer öden Wildnis umher. Mein Glaube und mein Vertrauen in alle Ideale, denen wir dienen, sind mir vollständig abhandengekommen. Es schmerzt mich, mit Euch darüber sprechen zu müssen; ich weiß, wie schockiert und betroffen Ihr als Bruder dieses Ordens über die Verwicklung unseres Vaters, des Papstes, in ein so heimtückisches Komplott sein müsst.«
Bruder Nikodemus’ Kopf fuhr hoch. »Schockiert? Davon kann gar keine Rede sein.« Er kicherte trocken, ein Geräusch, das eher einem Hüsteln glich. »Sohn, es tut mir leid, dir deine Illusionen rauben zu müssen, aber ich muss dir sagen, dass der
Mann, den du so verehrst, seine Hände schon viele Male zuvor mit Blut besudelt hat.«
Bruder Guido beugte sich vor. Das Feuer verlieh seinem Gesicht einen bernsteinfarbenen Schimmer. »Was sagt Ihr da?«
»Die Wahrheit«, bestätigte Bruder Nikodemus gelassen. »Ihr habt von der Pazzi-Verschwörung gesprochen. Wer hat denn die Pazzi zu diesem Mordkomplott ermutigt, ihnen seine päpstliche Billigung zugesichert? Wer hat dann ganz Florenz exkommuniziert, damit er die Medici zwingen konnte, ihre Bankgeschäfte einzustellen, und so mit einem Schlag päpstliche Schulden in Höhe von zehntausend Florin
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