Das Geheimnis Des Frühlings
schon in Rom aufgefallen. Wir hielten ihn für einen Hinweis auf das Opfer des Komplotts, Lorenzo den Prächtigen.«
»Oder den Drahtzieher selbst, Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici«, warf Bruder Nikodemus ein.
Trotz des Feuers begann ich zu frösteln. Was wir hier vor uns sahen, war ein im Bild festgehaltener Mordplan. Und diesen Plan mussten wir vereiteln.
Bruder Nikodemus sprach meine Gedanken laut aus. »Dann liegt euer Weg klar vor euch.« Er wandte sich an Bruder Guido. »Lassen wir die Frage, ob du dich nun noch als Mönch betrachtest oder nicht, eimal beiseite. Auf jeden Fall kennst
du deine moralische Pflicht. Dank der Gnade Gottes hast du die Chance bekommen, in der Maske eines anderen an dieser Hochzeit teilzunehmen. Du musst sie nutzen, um eine Audienz bei 11 Magnifico zu erwirken, ihn von dieser Verschwörung in Kenntnis zu setzen und so sein Leben zu retten. Wie sonst sollte es dir gelingen, nun, da dein Onkel - möge er in Frieden ruhen - tot ist, an ihn heranzutreten? Einen einfachen Franziskanernovizen und eine junge Frau ohne Leumundszeugnis würde er sicher nicht empfangen. Aber den Signore di Pisa und seine Begleiterin, nun...« Er brauchte den Satz nicht zu Ende zu führen. »Und wenn ihr ihn vor einem Mordanschlag bewahrt, ist euch sein Schutz sicher.«
»Aber alles, was wir über diese Verschwörung wissen, beruht momentan auf bloßen Vermutungen und Schlussfolgerungen«, widersprach Bruder Guido. »Wir kennen lediglich die Identität von drei Mitgliedern der Sieben und haben keine Ahnung, wer die anderen sein könnten. Wir brauchen Eure Hilfe. Wenn wir das Geheimnis, das die Blumen hüten, entschlüsseln können, bringen wir vielleicht weitere Einzelheiten in Erfahrung, die unserer Geschichte eine größere Glaubwürdigkeit verleihen.«
»Ich verstehe. Dann wollen wir uns das Bild noch einmal ansehen und uns dabei nur auf die Blumen konzentrieren.«
Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können, und wurde blass.
Madonna.
Da gab es mehr Blüten als Kuhfladen auf einer Weide.
Wie bei einem nach dem Frühling benannten Bild zu erwarten, bedeckten zahllose Blüten das Rasenstück, über den Köpfen der Figuren leuchteten Orangenblüten, und Floras Kleid war gleichfalls mit Blumen übersät, woran ich mich dank jenes unvergesslichen Tages in Botticellis Atelier nur zu gut erinnerte. Ich erinnerte mich auch an den schweren Blumenkranz, den ich hatte tragen müssen. Mein Rock war mit Rosen gefüllt, und aus dem Mund der Nymphe neben mir, die Bruder Guido als Chloris identflziert hatte, strömten gleichfalls Blumen. Bei
keiner der Figuren fehlte der Blumenschmuck - sogar die Stiefel des kriegerischen Merkur waren mit winzigen sternförmigen Blüten umwunden.
»Heiliger Strohsack!«, entfuhr es mir, was mir den ersten direkten Blick von Nikodemus von Padua eintrug. Einen Moment lang fühlte ich mich in mein altes Schulzimmer zurückversetzt, und danach hielt ich meine vorwitzige Zunge im Zaum, weil ich auf einen weiteren Blick dieser Art keinen Wert legte. Bruder Guido ließ sich von meinem Pessimismus anstecken. Er empfand dieselbe hoffnungslose Verzweiflung wie ich, bediente sich aber einer etwas gewählteren Ausdrucksweise.
»Das ist unmöglich«, seufzte er. »Verzeiht mir, Bruder, aber das käme der Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen gleich. Selbst wenn wir Tage oder Monate Zeit hätten, um dieses Bild zu studieren, würden wir nie herausfinden, welche Blumen mit dem Geheimnis zu tun haben, von dem der Papst gesprochen hat.«
Doch der Kräuterkundige rieb die Knöchel gegeneinander, bis sie knackten wie morsche Zweige. »Aber, aber, Bruder«, tadelte er. »Gott hat uns unsere Intelligenz geschenkt, damit wir uns solchen Herausforderungen stellen. Nichts ist unmöglich. Wenn in diesem Bild ein Code verborgen ist und wenn das Geheimnis in den Blumen zu suchen ist, dann sind nicht alle Blumen, die wir hier sehen, von Bedeutung. Einige dienen nur zur Dekoration oder sollen uns in die Irre führen. Daher wäre es überflüssig, uns mit allen zu befassen.«
»Vielleicht sollten wir die Blumen an jeder Figur zählen?«, schlug ich vor. »So kämen wir auf acht Zahlen, wenn wir den Amor mit einschließen. Vielleicht ist das Geheimnis ein Datum oder etwas in dieser Art?« Ich hielt das für eine gute Idee.
Bruder Nikodemus gab durch nichts zu erkennen, dass er meine Worte gehört hatte, aber Bruder Guido erwiderte: »Das wäre schwierig, denn wie sollen wir die Blumen bestimmten
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