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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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habt, handelt es sich tatsächlich um das Bauwerk, das Botticellis Grazien in der Primavera anhand der Haltung ihrer Hände darstellen.«
    Er hatte recht, alles stimmte genau überein. Wir waren zweifellos an dem Ort angelangt, an dem wir mit unserer Suche nach der Lösung des Geheimnisses beginnen mussten. Und hier, am Fuß des Turms, empfand ich bei seinem Anblick sowohl Furcht als auch Erregung. Sah man direkt zu ihm empor, so kam es einem so vor, als könne er im nächsten Moment umstürzen und den Betrachter zermalmen. Als meine Stimme mir wieder gehorchte, stellte ich die einzige Frage, die mir wichtig war. »Können wir hinaufsteigen?«
    Bruder Guido schien sich über mein anhaltendes Interesse zu freuen, das für ihn vermutlich ein willkommener Kontrast zu der schlechten Laune war, die ich in der letzten Zeit an den Tag gelegt hatte. »Ja«, erwiderte er. »Wenn Ihr keine Angst habt.«
    Ich hatte Angst. »Natürlich nicht. Warum sollte ich Angst haben?«
    »Weil man sagt, er würde innerhalb eines Jahres einstürzen. Aber das wird schon seit seiner Erbauung behauptet.«
    Ich zuckte lässig die Achseln, doch in Wahrheit hätte es mich traurig gestimmt, ein so prachtvolles Bauwerk in Trümmer zerfallen zu sehen - vor allem, wenn ich mich darin befand. Aber ich band mein Pferd an der dunklen Tür des Turms an. Bruder Guido tat es mir nach. Dann raffte ich für den Aufstieg meine Röcke.
    »Drinnen gibt es eine Treppe«, erklärte Bruder Guido. »Wir müssen auf jeden Hinweis auf eine Verbindung des Turmes mit der Primavera achten. Und gebt Acht, die Neigung sowie die
Spiralen, die die Treppe beschreibt, können leicht Schwindelgefühle auslösen.«
    In diesem Punkt irrte er sich ebenfalls nicht. Noch ehe wir die zweite Galerie erreicht hatten, kam ich mir vor, als hätte ich einige Flaschen Chianti geleert. Aber die Sache machte mir Spaß - was nicht nur an dem lange zurückliegenden Gefühl lag, einen Rausch zu haben, sondern vor allem daran, dass ich die Gelegenheit nutzte, Guidos Arm zu umklammern und mich so oft wie möglich gegen ihn sinken zu lassen. Für jemanden, der so gierig nach Sex ist wie ich, war das nicht viel, und der Umstand, dass er völlig unbeteiligt blieb, tröstete mich auch nicht gerade, aber es war besser als nichts. Dafür entschädigte mich der Ausblick auf die grünen Wiesen unter uns, den Duomo und das Baptisterium, die von hier oben aus betrachtet ein großes weißes Kreuz bildeten. Endlich erreichten wir die Spitze, und ich konnte den Blick auf eine Stadt genießen, die wahrhaft atemberaubend war, wie ich jetzt zugeben musste. Eine lange Weile war das Gemälde vergessen, während wir nach unten blickten und die Menschen beobachteten, die wie Ameisen zwischen den weißen Gebäuden umherhuschten. Nach einer Weile fiel mir auf, dass sich die Ameisen auf einem bestimmten Platz zu versammeln schienen.
    »Was geht da vor?« Ich presste die Brust gegen die warme Steinbalustrade und verrenkte mir den Hals, um besser sehen zu können.
    Bruder Guido griff in einer väterlich-beschützenden Geste, die mich zutiefst rührte, nach meinem Rocksaum. »Passt auf«, warnte er, dann spähte er gleichfalls nach unten. »Ah. Sie machen sich bereit.«
    »Wer sind sie ?«
    »Unter anderem mein Onkel. Und sie bereiten sich auf den Gioco delle Ponte vor, der jedes Jahr an diesem Tag begangen wird. Ich hatte gehofft, dass wir rechtzeitig eintreffen würden.« Er steuerte auf die Türschwelle der Galerie zu, um mit dem langen Abstieg zu beginnen.

    »Und was soll das sein?«, rief ich ihm hinterher.
    Er drehte sich mit einem spitzbübischen Lächeln zu mir um. »Ihr werdet schon sehen.«
    Ich folgte ihm die Treppe hinunter, aber diesmal war er so weit vor mir, dass ich nur seine braune Kutte flattern sah, wenn die Stufen eine Biegung beschrieben, und das Tappen seiner Sandalen hörte. Aber als wir endlich die äußere Tür erreichten, die ins Freie führte, und unsere Pferde losbanden, fiel mir etwas auf.
    »Seht nur!« Direkt neben dem Türsturz war ein gestochen scharfes Relief in den weißen Marmor eingemeißelt. Es zeigte ein Schiff mit geblähten Segeln und zinnenbewehrtem Vorderdeck, das über so fein herausgearbeitete Wellen glitt, dass man förmlich zu sehen meinte, wie sich der Ozean bewegte. »Ob das etwas zu bedeuten hat?«, fragte ich mich laut. »Es war ja auch der über Eure Tür in Santa Croce eingemeißelte Turm, der mich dazu gebracht hat, sein Gegenstück in der Primavera zu erkennen -

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