Das Geheimnis Des Frühlings
einst in diesen Farben geleuchtet, ehe der Regen sie verwaschen hatte. Bruder Guido wirkte nicht überzeugt, doch in diesem Moment fuhr die Kutsche an. Ich sah, wie er ein wenig aufzutauen begann, als wir durch die Straßen fuhren, denn sogar er musste es genießen, dass wir uns innerhalb weniger Stunden von durchgefrorenen Flüchtlingen in geschätzte Gäste des hiesigen Stadtherrn verwandelt hatten. Er wies seinen Onkel auf einige von ihm besonders geliebte Sehenswürdigkeiten hin, dann begann er mir in seiner üblichen wortreichen Art auseinanderzusetzen, was für ein Schauspiel uns erwartete. Endlich konnte ich den Arno silbern in der Sonne glitzern sehen. Er hatte mit der schlammigen Brühe, die ich einige Zeit zuvor im strömenden Regen überquert hatte, nichts mehr gemein. Damals hatte ich auf einem knochigen Gaul gesessen, jetzt saß ich in einer goldenen Kutsche. Eine eindeutige Verbesserung. Die Menge teilte sich wie das Rote Meer, und Bruder Guido setzte erneut zu einer Erklärung an. »Ihr seht, Signorina, dass die Leute sich aufteilen. Eine Hälfte begibt sich zum Nordufer, die andere zum Südufer. Dadurch soll die historische Feindschaft zwischen den Stadtteilen Mezzogiorno und Tramontana symbolisiert werden.«
Mir fiel auf, dass er in Gegenwart seines Onkels viel förmlicher mit mir umging als auf der Straße. Unterwegs waren wir Bruder Guido und Luciana gewesen, nun war er wieder zu »Signorina« übergegangen. Doch ehe mir Zeit blieb, darüber nachzudenken, fuhr er fort: »Die Leute bereiten sich darauf vor, die Farben ihrer jeweiligen Magistratura zu unterstützen. Das ist die politisch-militärische Organisation der Mannschaften, die an dem Brückenspiel teilnehmen.«
Himmel, konnte er langweilig sein! Ein Glück, dass er so gut aussah. Ich unterdrückte ein Gähnen. »Und was genau passiert bei diesem Spiel?« Sogar mein Aussehen war mir mittlerweile egal, was sehr untypisch für mich ist.
»Jede Mannschaft muss einen großen Rammbock, der mehr als sieben Tonnen wiegt, über die alte Brücke tragen, auf die wir gerade zufahren, und die gegnerische Mannschaft muss versuchen, sie daran zu hindern. Es ist ein wundervoller Wettbewerb, der folkloristische Elemente mit der stolzen Kriegertradition der Parteien vereint, die einst als Vertreter jedes Ufers des Arno um die Vorherrschaft über die Brücke gekämpft haben.«
Die Pisaner waren eindeutig nicht ganz richtig im Kopf. »Wollt Ihr damit sagen, dass es bei diesem ganzen Spektakel um eine Horde lächerlich aufgeputzter Männer geht, die einen Holzklotz über eine Brücke wuchtet, während eine zweite Horde versucht, ihn in die andere Richtung zu schieben?«
Bruder Guido nickte betreten. »Ja.«
Madonna . Aber mir entging die Belustigung nicht, mit der Signore Silvio uns beobachtete, und ich beeilte mich, meinen Fehler wiedergutzumachen. »Wie beeindruckend! Eine wirklich... angemessene Feier zum Ruhm dieser großen Stadt«, schloss ich lahm und spürte, dass ich wenig überzeugend geklungen hatte.
Tatsächlich hatte Signore Silvio meinen Spott bemerkt. »Den Menschen gefällt es, es ist für die Männer die einzige echte Gelegenheit, ihre Kräfte zu messen. Pisa zeichnet sich bei Kämpfen zu Lande wenig aus, aber an unsere Seetruppen reichen noch nicht einmal die von Genua und Neapel heran.«
Da war sie wieder, jene Dreieinigkeit von Seehandelsstädten, die mir einen Schauer über den Rücken jagte, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Offen gestanden hatte ich die Primavera ganz vergessen, und jetzt meldete sich die Gefahr leise zurück. Aber Onkel und Neffe lächelten ihr Zwillingslächeln, und unsere Kutsche fuhr zur Mitte der Brücke,
von wo aus Signore Silvio als Schiedsrichter die einzelnen Durchgänge am besten beurteilen konnte. So weit das Auge reichte, säumten in die Farben ihrer Mannschaft gekleidete Menschenmengen die Ufer des Arno und schrien sich heiser. Ich verfolgte die ersten Durchgänge aufmerksam; weidete mich am Anblick der jungen Männer, die sich bei dem Versuch, den phallusähnlichen Rammbock über die Brücke zu hieven, völlig verausgabten. Doch dann begann mich sogar das Spiel ihrer Muskeln zu langweilen, und bald sah ich, dass der riesenhafte Söldner Tok im Begriff stand, die Hahnmannschaft der Tramontana-Seite zum Sieg zu führen. Er war uns zu Fuß von der Piazza delle Sette gefolgt und hatte Pene und Aquinas am Zügel geführt, brachte aber immer noch die Energie auf, sich in das
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