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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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ist das kleine Herzchen hier? Hübsch, wirklich sehr hübsch.« Sein Blick wanderte ohne jegliches
Interesse über mich hinweg. Ich schüttelte mich innerlich, als ich mich fragte, ob er wohl die fischigen Ausdünstungen meines von den Austern verdorbenen Rocks riechen konnte und den Geruch mit dem von Sex verwechselte. Mein Verdacht bestätigte sich. »Hast du deine Gelübde schon gebrochen? Oder ist die Kleine ein Geschenk für meinen Vater, das dir seine Gunst sichern soll?«
    Bei der Erwähnung von Signore Silvio zuckte Bruder Guido merklich zusammen, schluckte seine Abneigung jedoch hinunter und überwand sich dazu, die Hand seines Vetters zu ergreifen; eine Geste, die Niccolo dazu veranlasste, die farblosen Brauen hochzuziehen. »Ich bringe traurige Nachrichten, Vetter. Es tut mir sehr leid, aber dein Vater ist... tot.« Das letzte Wort würgte ihn in der Kehle, und sogar mein steinernes Herz wurde weich - nicht wegen des Sohnes sondern wegen des Neffen. Dennoch wartete ich auf einen Tränenausbruch und Wehklagen des della-Torre-Erben. Vielleicht würde er sich schluchzend auf dieselbe Liege werfen, auf der er kurz zuvor seine Gelüste befriedigt hatte. Was aber kam, hätte ich nie erwartet: Der Anflug eines Lächelns spielte um seine schlaffen Lippen.
    »Tot, sagst du?« Er griff nach dem Edelstein, den er um den Hals trug, und klopfte damit gegen seine gelblichen Zähne. »Tatsächlich?«
    Es gelang Bruder Guido nicht, seinen Schock und seinen Widerwillen zu verbergen. »Das ist noch nicht alles. Er sagte...« Der Mönch senkte die Stimme. »Sein letztes Wort war murder.«
    Niccolos Interesse schien nun doch geweckt. » Murder? Das englische Wort für Mord?«
    Bruder Guido nickte. »Ja. Denk daran, dass wir vor Jahren einen englischen Beichtvater hatten, Bruder Giles von Cambridge. Er hat meinem Onkel die Sprache beigebracht, weil sie für seine Geschäfte hilfreich war, und uns hat er im Schulzimmer gleichfalls Englisch gelehrt. Ich bin sicher, dass mein
Onkel das englische Wort als Code benutzt hat, damit andere die Bedeutung nicht verstehen. Er wollte uns mitteilen, dass er von fremder Hand gestorben ist.« Aha, deswegen hatte ich keine Ahnung, was er meinte, denn ich kann weniger Englisch als ein Schotte. Doch als Bruder Guidos Blick zur Tür schweifte, wo Tok sich gegen den Rahmen lehnte, begriff ich plötzlich, dass Signore Silvio die Bedeutung seiner letzten Worte nicht vor mir hatte geheim halten wollen. »Und dann«, fuhr Bruder Guido fort, »dann wies er mich an, dem Licht zu folgen.«
    Ich wartete darauf, dass er den goldenen Daumenring erwähnte, den Signore Silvio seinem Neffen hinterlassen hatte, aber er sagte nichts weiter. Erst jetzt fiel mir auf, dass Bruder Guido seine linke Hand unter den voluminösen Ärmeln seiner Kutte verborgen hielt, sodass der Ring nicht zu sehen war. Ich zuckte im Geist die Achseln. Vielleicht wollte der Mönch dieses Andenken an seinen Onkel behalten und befürchtete, es zu verlieren, wenn er es offen zeigte (womit durchaus zu rechnen war). Ich wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als das neue Oberhaupt der Familie della Torre ernsthaft zu lachen begann; ein misstönendes quäkendes Geräusch, das besser zu einer Weihnachtsgans gepasst hätte als zu einem frisch gebackenen Stadtoberhaupt. »Mord? Das ist ja zum Schreien komisch. Mein Vater ermordet! Vielleicht bin ich ja der Täter?«
    Wir schwiegen, während er seinen schlechten Scherz belachte.
    »Nein, tut mir leid, ich war es nicht, obwohl ich oft daran gedacht habe.« Niccolo hüstelte zweimal, um die Fassung wiederzugewinnen, und fuhr sich mit der Hand über die tränenden Augen. »Und jetzt, Vetter, werde ich dir ein Schulbeispiel dafür geben, warum ich der Intellektuelle der Familie bin und eine akademische Ausbildung genossen habe, während du nur dazu taugst, in deinen Ledersandalen durch Klostergänge zu schlurfen.«
    Ich war versucht, ihm entgegenzuhalten, dass Bruder Guido
mehr Bücher gelesen hatte als jeder andere Mann, dem ich je begegnet war, doch Niccolo berauschte sich an seinen eigenen Ausführungen. Er hakte die Daumen in den Besatz seines Gewandes wie ein Anwalt bei Gericht. »Was hat mein Vater wirklich mit seinem letzten, wenig bedauerten Atemzug gesagt?«
    Bruder Guido scharrte mit den Füßen. »Ich sagte doch, er packte meine Kutte, zog mich näher zu sich und sagte: >Murder. < Er sagte es zwei Mal, und dann: >Folge dem Licht.<«
    »Murder?« Niccolo spielte immer noch den Anwalt.

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