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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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»Oder Muda ?«
    Bruder Guido zog die dunklen Brauen zusammen. »Ich... Ich nehme an, es könnte auch dieses Wort gewesen sein.«
    Ich hasste es, Niccolo recht geben zu müssen, aber seine Aussprache kam dem letzten Wort seines Vaters näher.
    »Es klang tatsächlich mehr wie >Muda<«, warf ich ein. »Ich meine, ich spreche kein Englisch, abgesehen von ein paar Schimpfworten, die ich Kaufleuten abgelauscht habe, die ich...« Ich führte den Satz wohlweislich nicht zu Ende.
    Die Vettern funkelten einander immer noch an, als hätte ich gar nichts gesagt. Dann brach Guido das Schweigen. »Warum sollte er Muda sagen? Was soll das heißen? Ich habe dieses Wort noch nie gehört.«
    Niccolo lächelte voll grimmiger Befriedigung. »Mein lieber Vetter. Nur weil du ein Wort noch nie gehört hast, solltest du nicht an seiner Existenz zweifeln. Es ist ein Wort - und ein Ort. Dies hier ist Muda.« Er schwenkte seine bleiche Hand durch die Kammer.
    »Dieser Raum?« Bruder Guido war sichtlich verwirrt.
    »Dieses Gebäude, dieser Turm, in dem wir stehen. Es heißt Muda.« Niccolos Lippen verzogen sich zu einem abstoßenden Lächeln.
    »Ich verstehe nicht ganz«, bekannte Bruder Guido.
    Ich verstand auch nichts.
    Niccolo strich seinen Überwurf glatt. Er genoss die Situation,
das sah man ihm an. »Dann lass mich deine Kenntnisse der Familiengeschichte etwas auffrischen, da du scheinbar zu lange fort warst. In just diesem Turm wurde unser entfernter Vorfahr Ugolino della Gherardesca zusammen mit seinen beiden Neffen wegen des Vorwurfs des Verrats eingesperrt. In diesem Raum sollten sie einen langsamen Hungertod sterben.« Niccolo rückte näher, in seiner Stimme schwang eine unüberhörbare Drohung mit. »Du musst dich an die Geschichte erinnern, Vetter. Der älteste seiner Neffen«, er verlieh dem Wort eine tödliche Betonung, »spürte, dass er dem Tode nah war, und flehte seinen Onkel an, sich von seinem Fleisch zu nähren, um sich am Leben zu halten. Und so hat Ugolino in diesem Raum seinen geliebten Neffen bei lebendigem Leibe verspeist.«
    Die Bosheit ließ sich jetzt nicht mehr verleugnen. Mich fröstelte, als sich die Turmkammer in meiner Fantasie in ein kaltes steinernes Gefängnis verwandelte, in dem so unaussprechliche Dinge geschehen konnten. Niccolo schien dasselbe Bild vor Augen zu haben, denn der Blick aus seinen blassen Augen flackerte wie der eines Irrsinnigen. Ich spürte, dass mein Freund in großer Gefahr schwebte, und dankte dem Himmel dafür, dass Tok an der Tür Wache hielt.
    Aber Bruder Guido hielt dem Blick seines Vetters unverwandt stand und bewies einen solchen Mut, dass er mir noch mehr ans Herz wuchs. »Natürlich kenne ich die Geschichte. Ugolinos scheußliche Tat findet sich im dreizehnten Gesang von Dantes Inferno wieder, wo er den Dichter im siebten Höllenkreis trifft.« Ich hätte jubeln können. Bruder Guido hatte den Wissenswettbewerb gewonnen. »Ich wusste nur nicht, dass dieses Haus hier Muda genannt wird.«
    Niccolo senkte verdrossen den Blick, und wir anderen entspannten uns etwas. »Nun, jetzt weißt du es«, gab er mürrisch zurück. »Es freut mich, dass ich diese Wissenslücke füllen durfte. Und nun, da du über alle notwendigen Informationen verfügst, muss doch selbst jemand mit deinen beschränkten Geistesgaben begreifen, dass mein Vater dir lediglich sagen
wollte, dass du zum Muda-Turm gehen sollst, um mich von seinem Dahinscheiden in Kenntnis zu setzen.«
    »Und das Licht?«, schoss Bruder Guido zurück. »Vielleicht hast du in deiner Allwissenheit auch eine Idee, was mein Onkel mit >folge dem Licht< gemeint haben könnte?«
    Niccolo hatte jegliches Interesse an der Angelegenheit verloren. Unwirsch wischte er die Frage beiseite. »Toks Fackel hat dich hierhergeleitet, nicht wahr? Aber jetzt musst du mich entschuldigen, ich habe zu tun. Fabrizio!«
    Der Umstand, dass der schwarze Junge schon im nächsten Moment in den Raum geschossen kam, verriet mir, dass er an der Tür gelauscht hatte. Ich musterte ihn verächtlich. Als erfahrene Lauscherin wusste ich nur zu gut, dass man ein paar Momente warten muss, bevor man einen Raum betritt, dann fällt man nicht auf.
    Bruder Guido verstand den Wink. »Dann will ich dich mit deiner Trauer alleine lassen«, zischte er und verneigte sich mit unverhohlenem Widerwillen.
    Wir waren halb zur Tür hinaus, und Niccolo hatte schon begonnen, das Haar des Jungen zu streicheln, als er seinen letzten Schuss abfeuerte. »Ach, Vetter? Bleib im Palazzo - als

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