Das Geheimnis Des Frühlings
mein Gast -, denn wir haben viel miteinander zu besprechen. Familienangelegenheiten, verstehst du? Geh nirgendwo hin. Tok, sorge dafür, dass er bleibt, wo er ist.«
Weder Bruder Guido noch mir entging der Blick, den Tok und sein neuer Herr wechselten, als die Tür geschlossen wurde. Der König ist tot, lang lebe der König . Wir wussten beide, dass die alte Ordnung außer Kraft gesetzt war und ein neues Regime herrschte. Der einst bevorzugte Neffe war herabgesetzt, das schwarze Schaf der Familie im Rang erhöht worden.
Und mir war ebenso klar wie Bruder Guido, dass Tok soeben den Befehl erhalten hatte, ihn zu töten.
5
Draußen folgten wir Tok eine Weile lang gehorsam, aber es bedurfte nur eines Blickes und eines leichten Händedrucks, und ich verschwand auf Bruder Guidos Zeichen hin blitzschnell in der Menschenmenge. Wir schlängelten uns durch die überfüllten Seitenstraßen. Erst als wir den Fluss erreichten und sicher waren, unseren Bewacher abgeschüttelt zu haben, machten wir schwer atmend Halt. »Wohin jetzt?«, stieß ich hervor.
Bruder Guido schüttelte den Kopf. »Zum Palazzo können wir nicht zurück«, keuchte er. »Unsere einzige Hoffnung besteht darin, flussabwärts zum Medici-Palast zu laufen und selbst um eine Audienz bei Lorenzo zu bitten.«
»Ohne die Empfehlung Eures Onkels?«
»Was bleibt uns denn anderes übrig? Wir müssen hoffen, dass der Familienname ausreicht. Außerdem können wir das Bild vorweisen. Kommt.«
So schnell wir konnten rannten wir am Ufer hinunter und drängten uns zwischen den dunklen Schatten der Feiernden hindurch, bis der rote Medici-Palast vor uns auftauchte. Als ich zu dem in der Dunkelheit riesig, abweisend und von der Farbe rohen Fleisches aufragenden Gebäude aufblickte, überkam mich eine so starke Vorahnung drohenden Unheils, dass ich beinahe die Kontrolle über meine Blase verloren hätte. Ich packte Bruder Guido am Ärmel.
»Nicht«, krächzte ich. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Vieles stimmt nicht, Signorina. Aber wir müssen etwas tun. Wir können nicht ewig fliehen.« Er schritt auf die prächtige, von Fackeln erleuchtete Treppe zu, wo sich zwei bewaffnete Wachposten mit einem dritten Mann unterhielten, einem Händler vielleicht oder einem Spielmann. Aber die Größe und die breiten Schultern kamen mir bekannt vor. Und dann drehte der Riese sich um.
Der dritte Mann war Tok.
»Da sind sie!«, rief er den Wachposten zu. »Beeilt euch!« Mit diesen Worten stürmte er auf uns zu.
Verdammt. Wie war es ihm nur gelungen, vor uns hier zu sein? Wir machten auf dem Absatz kehrt und flohen zum Fluss zurück. An beiden Ufern wimmelte es von Menschen. Worauf warteten die Leute nur alle? Fast kam es mir so vor, als hätten sie sich hier versammelt, um Zeuge unserer Verhaftung zu werden.
Bruder Guido führte mich zu einem kleinen Privatpier. Er nestelte noch an dem Seil des einzigen dort festgemachten Bootes herum, als Tok über die Planken gedonnert kam, die unter seinem Gewicht erzitterten. Die beiden Medici-Wächter folgten ihm. Hastig riss ich die grüne Glasscherbe aus meinem Strumpfband und schnitt das Seil durch. Nachdem ich einen dankbaren Blick Bruder Guidos aufgefangen hatte, sanken wir auf dem Boden des Bootes zusammen. Unsere Lungen und Beine brannten noch von der Verfolgungsjagd.
Als wir auf die Mitte des dunklen Flusses zutrieben, sahen wir Tok sich über den Rand des Piers beugen. Mordlust glitzerte in seinen Augen, als wir seiner Reichweite entglitten. Und als Bruder Guido zwei zersplitterte Ruder aus dem hinteren Teil der Barke fischte, fühlte ich mich zuversichtlich genug, um dem Riesen, der langsam zum Pygmäen wurde, höhnisch zuzuwinken. Dann beschrieb der Fluss eine Biegung, und ich konnte ihn nicht mehr sehen. »Und was jetzt?«
Bruder Guido bediente die Ruderpinne, um unser Boot in der schnellen Strömung zu halten. Er schüttelte den Kopf. Seine dunklen Locken klebten ihm schweißnass auf der Stirn. »Zum ersten Mal habe ich nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen soll«, erwiderte er. »Mein Onkel, unser einziger Schutz, ist nicht mehr am Leben. In dem Moment, wo ich mich bei dem Fest neben ihn gesetzt habe, habe ich sein Todesurteil unterzeichnet. In diesem Augenblick wussten unsere Feinde, dass ich ihm die Primavera zeigen würde. Ihr
hattet recht. Es war ein verhängnisvoller Fehler, offen auf ihn zuzugehen.«
Triumphgefühle waren jetzt fehl am Platz. »Es waren die Austern«, weihte ich ihn in die Erkenntnis ein,
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