Das Geheimnis Des Frühlings
einfach nicht schlau. »Die Via Appia«, wiederholte er wie in einem Traum gefangen.
Don Ferrante nickte ein paarmal nachdrücklich. »Die Via Appia. Sie bringt uns auf direktem Weg nach...«
»Rom«, beendete Bruder Guido den Satz für ihn. Sein Lächeln wurde noch breiter. Nur ich hörte ihn nahezu unhörbar hinzufügen: Genau dorthin, wo wir jetzt hinmüssen.
Teil 4
ROM
Juli 1481
1
Madonna.
Ihr werdet es nicht glauben, wenn ich es euch erzähle.
Ich, Luciana Vetra, die gewöhnliche florentinische Hure Chi-Chi, bin Gast des Papstes persönlich.
Ich schwöre bei Vero Madre , dass ich die Wahrheit sage. Hier stehe ich, auf der Brustwehr der Engelsburg, der am Fluss gelegenen Vatikanburg, und blicke auf das silberne Band des Tiber hinunter, das sich zwischen den Hügeln hindurchschlängelt. Dann schaue ich über den Fluss hinweg zum Petersdom hinüber, der im letzten Tageslicht wie Gold schimmert und sogar den Duomo in Florenz an Großartigkeit übertrifft. Und ich bin Gast des Fürsten dieser prächtigen Basilika, des mächtigsten Mannes auf dieser Halbinsel - Seine Heiligkeit Papst Sixtus IV.
Nun muss ich wohl nicht betonen, dass ich euch vor diesem Abend nicht einmal den Namen dieses Papstes hätte nennen können; selbst dann nicht, wenn ihr mir zur Belohnung einen Krug Marsala in Aussicht gestellt hättet. Aber da ihr nun lange genug mit uns unterwegs seid, muss ich auch nicht erwähnen, dass Bruder Guido mich mit allen wichtigen Details und darüber hinaus auch noch mit einer ganzen Reihe unwichtiger versorgt hat. Er zappelt förmlich vor Aufregung und schnattert mir wie ein Berberäffchen unaufhörlich leise Informationen ins Ohr, die ich gar nicht hören will, denn er betrachtet es als Höhepunkt seiner religiösen Karriere, in die Engelsburg des Papstes, des Oberhauptes seines und aller anderen Orden, eingeladen zu sein. Jesu.
Wir erreichten Rom am frühen Abend, nach sieben Tagen auf der Straße, während derer wir allerdings nicht unter den Entbehrungen zu leiden hatten, die wir auf dem Weg von Florenz nach Pisa ertragen mussten, und die Reise hätte in keinem stärkeren Kontrast zu der im Flaggschiff der Muda stehen können, unserem schwimmenden Gefängnis. Unsere Kutschen waren bequem, Essen und Trinken reichlich vorhanden und die Unterkünfte für die Nacht fast schon luxuriös. Entweder übernachteten wir in den in den Hügeln gelegenen Palästen der dem König freundlich gesinnten Edelleute oder in Gasthäusern an der Straße, die Don Ferrantes Männer komplett mit Beschlag belegten. Die Gäste, die sich dort eingemietet hatten, wurden kurzerhand an die Luft setzten. Mit unverhohlener Schadenfreude sah ich zu, wie diese Leute sich mit ihrem Gepäck abmühten, weil kein Diener zur Stelle war, um ihnen zu helfen, und über das ihnen zugefügte Unrecht murrend die Via Appia zum nächsten Wasserloch trotteten. Ich nistete mich mit der diebischen Freude eines Kuckucks in ihren Nestern ein und fragte mich einmal mehr, wie es wohl sein mochte, wirklich dem Adel anzugehören und über Macht zu verfügen, statt diese Rolle nur zu spielen.
Als wir durch das Stadttor fuhren, staunte ich darüber, wie groß alles hier war - massive viereckige Gebäude schimmerten golden in der Sonne, und die Plätze hatten Ausmaße, wie ich sie noch nie gesehen hatte, nicht in Florenz und noch nicht einmal in Pisa, wo ich gedacht hatte, das Feld der Wunder sei nicht zu übertreffen. Es war die Zeit der Hundstage, der Sirius, der Hundestern, stand neben der Sonne hoch am Himmel. Diese schien bis spät in den Abend hinein, dann verwandelte sich das Gold des Tages in Silber, das Licht über Rom wurde schwächer, und die Stadt erwachte zum Leben.
Meine ersten Eindrücke bestätigten sich, als wir die Engelsburg erreichten; eine große, zinnenbewehrte, aus Terrakottaziegeln erbaute Hochzeitstorte, ein roter Turm in unserem Schachspiel. Das Bauwerk glich eher einer Festung als einem
Palast, aber unsere Gemächer waren überaus prunkvoll eingerichtet, und man bereitete uns einen warmen Empfang. Unserer Reisegesellschaft wurde das gesamte obere Stockwerk der Burg zugewiesen, dann wurde uns in unserem eigenen Speisesaal ein köstliches Mahl serviert. Nach dem Essen machten Bruder Guido und ich einen Spaziergang, denn wir sehnten uns, ohne es laut aussprechen zu müssen, nach einem Ort, wo wir miteinander allein waren. Während der Reise hatten wir nur wenige Möglichkeiten zu privaten Gesprächen gehabt, denn in den
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