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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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nickten uns zu, begrüßten uns aber nicht und lächelten auch nicht. Sie spürten ebenfalls, dass etwas Furchtbares in der Luft lag.
    Während ich nach Atem rang, starrte ich auf die Bucht hinunter und dachte einmal mehr nicht ohne Bewunderung darüber nach, wie gut unsere Gegner ihre geheime Flotte versteckt hatten. Ohne das Rätsel der Fiammetta wären wir nie darauf gestoßen.
    Dann blickte ich über das Wasser hinweg, und das, was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
    Am Horizont türmte sich das Meer zu einer ungeheuren
stahlgrauen Wand auf, zu einer Welle biblischen Ausmaßes, sodass es schien, als würden sich alle sieben Meere dort vereinen, um mit geballter Kraft über die unselige Stadt hinwegzubrausen und uns wie lästige Insekten fortzufegen. Sprachlos vor Entsetzen deutete ich darauf, und meine Gefährten folgten meinem Finger mit den Blicken. Mehr bedurfte es nicht.
    »Fahr zu!«, herrschte Don Ferrante den Kutscher an. Der Befehl war kaum über seine Lippen gekommen, da ereigneten sich drei Dinge.
    Cosa uno: Der Angelus läutete zum zwölften Mal.
    Cosa due : Die Riesenwelle rollte auf die Küste zu.
    Cosa tre : Die Peitsche des Kutschers knallte, und gleichzeitig begann die Erde zu beben.
    Ein ungeheures Grollen ließ den Boden unter uns und die Burgmauern ringsum erzittern. Mit vor Panik klappernden Zähnen blickte ich zu Bruder Guido hinüber. Steine und Geröll begannen von der Festung herabzufallen. Wir rasten mit einer Geschwindigkeit dahin, die meine Angst noch verstärkt hätte, hätte uns nicht jeder Hufschlag weiter von der in sich zusammenstürzenden Burg fortgetragen. Mir war, als sei das Ende der Welt gekommen, doch unsere Pferde jagten unbeirrt die Zufahrt hinunter und durch das Tor, ohne weiterer Peitschenhiebe zu bedürfen. Während wir wie Polenta in einem Suppentopf durchgerüttelt wurden, verfolgten wir stumm vor namenlosem Entsetzen, was sich unter uns abspielte. Die dämonische Welle schien die ganze Bucht verschlingen zu wollen; das Wasser schäumte über das Ufer hinweg, riss die Boote im Hafen mit sich und machte sich dann gierig über die Hütten und Häuser am Hang her. In Todesangst umklammerte ich Bruder Guidos Arm so fest, dass es schmerzen musste, während die Pferde durch die zerstörte Stadt galoppierten, und spürte, wie er zur Antwort meine Hand drückte. In diesem Moment begriff ich, dass auch er dachte, unsere letzte Stunde habe geschlagen, und ich erkannte gleichfalls, dass er mir verziehen hatte, was beim letzten Mal geschehen war, da wir
sicher gewesen waren, dem Tod ins Auge zu blicken. Immer mehr Häuser stürzten in sich zusammen, als weitere Stöße die Erde erschütterten. Mehr als einmal wären wir beinahe von den herabfallenden Trümmern getroffen worden. Die Kutsche vor uns überschlug sich plötzlich im Staub; unsere erschrockenen Pferde konnten ihr gerade noch rechtzeitig ausweichen. Wir sahen nicht, was aus den Insassen geworden war, durften uns aber nicht damit aufhalten, uns um sie zu kümmern, wenn wir am Leben bleiben wollten. In manchen Vierteln lag kein Stein mehr auf dem anderen. Als wir an San Lorenzo Maggiore vorbeikamen, registrierte ich, dass ein Teil der Kirche eingestürzt war, der Turm jedoch noch stand. Graue Staubwolken stiegen wie Rauch zum Himmel auf. Ich konnte nur beten, dass die unheimliche, schwarz gewandete Gestalt mit den Silberaugen in der Ruine ihr Ende gefunden hatte. Überall zerrissen Rufe und Schreie die Luft, blutüberströmte Menschen schleppten sich über die Straße, Kinder krochen weinend aus zersplitterten Türen. An allen Ecken brachen kleine Feuer aus, die sich rasch ausbreiteten. Ich wusste, wie leicht sich eine Stadt in dieser heißen, trockenen Gegend in ein Flammeninferno verwandeln konnte. Jetzt verstand ich, welche Macht von dem Blut des heiligen Gennaro ausging - die Legende war kein religiöser Hokuspokus, wie ich bislang geglaubt hatte. Sein Blut konnte tatsächlich Katastrophen auslösen; konnte die Erde beben und Monsterwellen entstehen lassen. Es war in diesem Jahr nicht flüssig geworden, aber ich hatte für diese Warnung vor drohendem Unheil nur Hohn und Spott übrig gehabt.
    Und nun war ich auf furchtbare Weise eines Besseren belehrt worden.
    »Zum Stadttor!«, brüllte Don Ferrante seinem Kutscher zu. »Wir müssen hügelaufwärts fahren, weg von der Stadt!« Er deutete auf den prächtigen römischen Triumphbogen, durch den wir auf dem Weg zur Kirche geschritten waren.
    Ein

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