Das Geheimnis des Goldmachers
geschah. Die wenigen, die übrig geblieben waren, erholten sich
rasch, denn die Natur war üppiger, die Früchte nahrhafter und das Wild
zahlreicher als zuvor jenseits der Alpen. Dennoch, die Unbeschwertheit, die
unseren Zug bis zu den Alpen auf Schritt und Tritt begleitet hatte, war für
immer dahin, denn ein jeder von uns erinnerte sich mit Kummer an mindestens
einen treuen Wegbegleiter, dem die Berge zum Verhängnis wurden.
Die Alpen noch im Nacken,
erreichten wir bald Turin, eine der größten, wenn nicht gar die größte Stadt in
der Lombardei. Die Turiner, denen eingedenk der geografischen Lage
Alpenüberquerer nicht fremd waren, seien es nun Abenteurer oder Kaufleute,
wollten ihren Augen nicht trauen, als unser Zug aus den Bergen in ihre Stadt
einmarschierte, zumal der Großteil von uns noch nicht ausgewachsen war. In
Turin selbst, dessen Farbvielfalt und Pracht mich für einige Momente das
Schicksal der getöteten Kameraden vergessen ließ, wandte sich Nikolaus umgehend
an den Kirchenobersten, gab sich dort als Gesandter des Bischofs von Cölln und
Beauftragten von Jesu Christi aus und verlangte Quartier und Verpflegung für
sein gesamtes Gefolge. Das Kirchenoberhaupt Turins wiederum, völlig überrumpelt
von der Art und Weise der an ihn gerichteten Forderungen, gab umgehend Order,
den Wünschen des Nikolaus von Cölln Folge zu leisten. Vielleicht meinte er auch
Zeuge eines Wunders zu sein, denn als nichts anderes erachteten es die Turiner,
dass ein Heer von Kindern die Alpen bezwungen hatte, doch wussten sie freilich
auch nicht, dass ein vielfacher Teil von uns dabei sein Leben gelassen hatte.
So jedenfalls ließen wir es uns fast eine Woche gut ergehen und zogen erst in
der zweiten Hälfte des Augusts aus, den Rest des Weges bis nach Genua zu
bewältigen. Die Tage bis zum Erreichen der Küste der Ligurer vergingen nun, da
uns die Natur überreichlich mit ihren Gaben beschenkte, wie im Fluge. Wir
passierten Alessandria und am fünfundzwanzigsten August schließlich roch ich
das erste Mal in meinem Leben die salzige Luft des Meeres, staunte über die
seltsamen, weißgefiederten Vögel, die über unseren Köpfen kreisten, und lachte
lauthals, als einer von ihnen seinen Schiss auf Eckhardts Kutte fallen ließ.
Wir hatten es tatsächlich
geschafft, Halleluja!
Über drei Monate waren
vergangen, zwölf- bis dreizehntausend Leben hatte es gefordert, doch nun ward
es vollbracht.
Ich schüttelte den Kopf und die
Euphorie verklang ebenso schnell, wie sie mich erfasst hatte.
Nichts war vollbracht.
Wir hatten gerade einmal die erste
Etappe unserer Reise hinter uns gelassen und wahrlich, der noch vor uns
liegende Weg war fraglos gefährlicher und schwerer als alles bislang
Bewältigte, ganz zu schweigen von dem Wunder, das folgen musste, sollte unsere
Mission nicht kläglich scheitern.
Die Kunde, dass unser Führer
ebendies Wunder vollbringen würde, die Teilung des Meeres also, ging inzwischen
ebenso mit unserem Zug einher wie der Ruf, dass eine Armee Kinder vollbrachte,
was selbst erwachsenen Männern bisweilen verwehrt blieb: Die Überquerung der
Alpen über den berüchtigten Cenis-Pass. So war es nicht verwunderlich, dass
eine stetig wachsende Schar Schaulustiger unseren Zug in ehrfurchtsvollem
Abstand begleitete. Keiner schloss sich uns an, sie beobachteten uns nur, und
aus einigen Wortfetzen ihrer Sprache, die der lateinischen ähnelte, erfuhr ich
auch den Grund. Sie schienen uns alle, also nicht nur Nikolaus, sondern in der
Tat alle siebentausend Wanderer, für Heilige zu halten – was für eine absurde
Vorstellung.
Da standen wir nun beisammen an
einem Strand unweit Genuas, die Kreuzzügler und ihr Publikum, und starrten
hinaus aufs Meer.
Und alle erwarteten ein Wunder –
das Wunder, von dem sie noch am Sterbebett ihren Kindern und Kindeskindern
berichten würden. Ich war dabei, als sich ein zweites Mal nach Mose das Meer
öffnete, würden sie sagen, und ich marschierte gemeinsam mit dem Zug nach
Afrika, oder ich schaute ihnen hinterher, je nachdem, welcher Gruppe sie
zugehörig waren, den Heiligen oder denen, die sie beobachteten. Ja, sie alle
standen da und waren voller Zuversicht, und selbst ich, der bereits vor Wochen
zu zweifeln begann, und zwar nicht nur an Nikolaus, sondern auch an Ihm selbst,
dem Allerhöchsten, selbst ich also faltete die Hände und betete, wie ich nie
zuvor in meinem Leben gebetet hatte. Ich flehte und bettelte, dass nicht alles
umsonst gewesen sein solle, dass all die Kinder
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