Das Geheimnis des Goldmachers
legten an, doch statt
Marmor und Baumwolle zu laden, nahm unser Schiff weitere Reisende auf, ungefähr
fünfzig mögen es gewesen sein, allesamt zerlumpte und ausgemergelte Kinder,
viele behangen mit christlichen Symbolen. Wäre es nicht unmöglich gewesen, da
sie nicht so rasch von Genua nach Brindisi gelangen konnten, hätte ich sie für
Gefährten aus unserem Zug gehalten. Doch wie nur, fragte ich mich seinerzeit,
sollten alle Reisenden untergebracht werden, da die Kojen bereits jetzt mit
mindestens zwei Personen belegt waren?
Hätte ich mir doch nur mein
Misstrauen bewahrt, vielleicht wäre uns eine rechtzeitige Flucht vom Schiff
geglückt, so jedoch winkte ich den an Bord kommenden Kindern auch noch
aufmunternd zu, sodass diese unverzagt und festen Mutes das Schiff betraten.
Nachdem die Seeleute Zwieback,
Dörrfleisch, Früchte und Wasser an Bord geholt hatten, legten wir wieder ab.
Auf hoher See zeigte die Mannschaft dann ihr wahres Gesicht. Ohne ein weiteres
Wort zu verlieren, wurden wir allesamt zusammengepfercht und in einen bis dato
leeren Lagerraum gesperrt. Friso stand oben im Torrahmen und schaute
verschlagen auf uns hinab, während wir von einem Schreiberling gezählt wurden.
»Es sind einundsiebzig, Käpt’n«,
sagte er grinsend zu seinem Herrn.
»Ihr wolltet ins Heilige Land, und
ihr sollt ins Heilige Land kommen!«, lachte Friso und rieb sich die Hände. Dann
krachte die schwere Luke zu und eine viele Tage währende Nacht brach über uns
herein.
Ich kann nicht sagen, was mir
während der Zeit unter Deck am meisten zusetzte – der bestialische Gestank nach
menschlichen Exkrementen, die feuchtmodrige Luft oder die Kälte, der Hunger,
Durst, das Geschrei der Kinder oder die schreckliche Ungewissheit, was aus uns
allen werden sollte – die undurchdringliche Dunkelheit jedenfalls, die einem
jedes Zeitgefühl nahm, sodass man schließlich nicht mehr wusste, ob ein Tag
oder erst eine Stunde vergangen war, diese Dunkelheit vervielfachte alles Leid
und steigerte die Angst ins Unermessliche. Was nur sollten wir noch alles
ertragen, wir, die auszogen, Gott zu dienen und die so schändlich von ihm im
Stich gelassen wurden. Einst in jenen Tagen, eingepfercht mit siebzig anderen
Kindern unter Deck eines Schiffes, haderte ich nicht mit Gott, nein, ich brach
mit ihm.
Drei Tage waren es schließlich,
wie ich später anhand des Datums unserer Ankunft herausfinden sollte, die wir
unter Deck verbrachten, drei ganze Tage und Nächte, in denen einem im
Verborgenen bleibende Plagegeister, ob fliegend oder krabbelnd, fast den
Verstand raubten und die Sorge, nicht in die hinterlassene Notdurft eines
Nachbarn zu greifen, rasch bedeutungslos wurde angesichts der Ungewissheit, was
noch folgen sollte. Während jener Tage lernte ich Jean kennen, einen Knaben,
der in Brindisi an Bord kam. Er war Novize in einem Kloster nahe Reims, einer
Stadt im Königreich Frankreich. Jean sprach ein wenig Latein, sodass ich mich
mit ihm unterhalten konnte, wenn auch beschwerlich. Zuerst wollte ich meinen
Ohren nicht trauen, denn seine Geschichte glich der meinen in vielem wie ein
Haar dem anderen, doch schnell begriff ich, dass dies kein Zufall war, sondern
ein ausgeklügelter Plan dahinterstecken musste. Ebenso wie ich wurden Jean und
seine Mitstreiter von einem Knaben geblendet, nur hieß er in diesem Falle
Stephan. Auch ihm soll Gottes Sohn erschienen sein, und geradeso wie Nikolaus
scharte auch Stephan binnen kurzer Zeit Tausende um sich, zumeist Kinder.
Anfang Juli zog er von Paris aus schließlich los, das Heilige Land zu erobern,
und sein Heer musste ähnlich gewaltig gewesen sein wie das des Nikolaus von
Cölln.
Und wieder stellte ich mir die
Frage, wem es zum Vorteil gereichte, wehrlose Kinder in einen aussichtslosen
Kampf gegen die Morgenländer zu entsenden, und wieder kam mir nur der Klerus in
den Sinn. Was für eine niederträchtige List, den Zorn des gemeinen Volkes gegen
die Muslime aufs Neue zu entfachen.
Doch was nur sollte nun mit uns
geschehen?
Welchen Wert konnte ein Haufen
halb verhungerter Kinder für Friso haben? Und wohin überhaupt ging die Reise?
Fragen über Fragen, auf die sich
ein zwölfjähriger Knabe, der in einem Kloster aufwuchs und bislang nichts von
der Welt mitbekommen hatte, keinen Reim machen konnte. Eckhardt, mein treuer
Freund, schien unser Los zu erahnen, doch bis auf die gemurmelte Bemerkung,
eher zu sich als an mich gerichtet, dass es ihm besonders um die armen Mädchen
leid täte, war aus
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