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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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nicht da waren, denn Almas lag wie eine Leiche und schnarchte, dass die Fliegen im Schlafzimmer das Weite suchten.
    Was konnte Nassri tun? Dann und wann meldete sich die Stimme der Vernunft, die ihn tadelte, er verhalte sich wie ein verliebter Junge. Überall in der neuen Stadt lockten Huren, eine schöner als die andere, und er wartete mit klopfendem Herzen auf eine Nachbarin. Aber diese Stimme überhörte er gerne. Trotzig flüsterte er: »Ja, was ist schon dabei? Verliebtheit macht uns zu Kindern.«
     
    An einem eiskalten, nassen Dezembermorgen betrat er, blass vor Kummer, Hamid Farsis Atelier. Der Kalligraph hatte Kundschaft, ein Ehepaar, das gerade ein gerahmtes Schriftbild abholte. Nassri grüßte höflich und übte sich in Geduld. Er war zerstreut und bekam von dem heftigen Gespräch nicht viel mit, außer dass die Leute das Bild zu teuer fanden.
    »Ihr Mokka«, sagte jemand neben ihm. Es war ein magerer junger Mann mit abstehenden Ohren, der ihm den süßen Mokka servierte.
    Der Kaffee schmeckte fade, und die lästigen Kunden hörten nicht auf zu feilschen. Hamid Farsi war sichtlich verärgert. Nassri versuchte seine Gedanken zu lesen: dem besten Kalligraphen erst großkotzig einen aufwendigen Auftrag geben und dann bei der Zahlung weiche Knie bekommen.
    Nach einer geschlagenen Viertelstunde einigte sich Hamid mit dem Mann auf einen Preis, der zehn Lira niedriger lag als der, den er selbst genannt hatte. Die kleine zierliche Ehefrau mit den roten Haaren war nicht zufrieden. Sie zischte ihrem Ehemann etwas Unverständliches zu und als dieser nicht reagierte, verdrehte sie die Augen und zeigte Nassri ihren Unmut. Dieser verweigerte ihr das solidarische Lächeln, das Kunden sonst gegen den Händler verbündet. Er war entnervt von diesen Geizkragen.
    Als das Geschäft endlich ausgehandelt war, warf der Kalligraph das Geld in die Tischschublade und wandte sich mit einem breiten Lächeln Nassri zu.
    »Wo steckten Sie all die Zeit? Seit einer Ewigkeit habe ich nichtsmehr von Ihnen gehört! Ich war sogar kürzlich bei Ihnen, um einen Vorschlag zu unterbreiten!«
    »Sie haben mich aufgesucht?«, wunderte sich Nassri, verärgert, dass man ihn im Büro nicht informiert hatte.
    »Ja, wir wollen eine Schule für Kalligraphie gründen. Und wir erhalten bereits großzügige Unterstützung vom Kultusministerium und den bedeutendsten Familien in Damaskus. Al Azm, Bakri, Sihnawi, Barasi, Asfar, Ghazi, Mardam Bey und viele andere Persönlichkeiten wie Schukri al Quatli, Fares al Churi, Chalid al Azm, Fachri al Barudi und Sabri al Assali haben unser Vorhaben nicht nur begrüßt, sondern wollen sich auch mit großen Spenden zu uns bekennen. Und ich dachte, Sie dürfen in dieser Reihe ehrenhafter Männer nicht fehlen. Die arabische Schrift muss das Anliegen aller sein. Unsere allerschönste Kunst darf nicht verwahrlosen und nur noch dem Zufall überlassen werden, sondern sie muss erforscht, von Ballast gereinigt und weiterentwickelt werden. Wenn wir nichts unternehmen, werden wir unsere Schrift bald mit europäischen Maschinen schreiben.« Der Kalligraph merkte, dass sein Zuhörer etwas zerstreut war, also musste er ihn locken: »Natürlich wird eine Marmortafel all die Namen verewigen, die die Schule ermöglichten. Sie werden bestimmt ganz oben stehen, wie ich Ihre Großzügigkeit kenne.«
    Nun wusste Nassri, warum man ihm die Nachricht im Büro verschwiegen hatte. Es war abgemacht, alle Bitten um Spenden nicht abzulehnen, sondern im Sande verlaufen zu lassen, so lange und so oft, bis der Bittsteller, und derer gab es in Damaskus viele, mürbe wurde und von allein aufgab.
    Aber hier lagen die Dinge anders. Er stellte sich genüsslich zuerst den Neid seiner zwei Brüder vor, die seinen Namen unter den Spendern und den Großen aus Politik und Kultur finden würden, dann stellte er sich den Ärger seiner Lehrer vor, die ihm vorgeworfen hatten, die arabische Sprache würde sich schämen, weil er sie täglich verhunzte. Er dachte eine Sekunde lang besonders ausgiebig an seinen verhassten Lehrer Scheich Raschid Dumani, den er unbedingt zur Einweihung einladen wollte.
    »Eine gute Idee«, sagte er, »an der ich mich beteiligen möchte. Ichbesitze ein leerstehendes, frisch renoviertes Haus in der vornehmen Bagdader Straße, das ich Ihnen für die nächsten zehn Jahre mietfrei zur Verfügung stelle. Danach endet die Spende, und die Schule kann das Haus mieten oder kaufen. Wichtig ist, dass das Haus nach zehn Jahren in demselben

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