Das Geheimnis Des Kalligraphen
Naturwissenschaftlern, Illustratoren und Kalligraphen die Schulbücher auf den neuesten Wissensstand bringen und ihnen Einheitlichkeit und vor allem Eleganz geben. Mehr stand nicht auf der Einladung.
Hamid sollte alle Schriften betreuen.
An jenem Morgen der Sitzung stand er um vier Uhr auf, mit der Vorahnung, dass es ein wichtiger Tag werden würde. Im Ministerium angekommen, erkannte Hamid nur den alten berühmten Gelehrten Sati’al Husri, der unermüdlich öffentlich debattierte und von den Nationalisten hoch geachtet war. Er betrachtete die Sprache als wichtigstes Fundament einer Nation.
Hamid setzte sich auf den nächsten freien Stuhl und wunderte sich über ein Schild mit einem ihm fremden Namen. Sein Tischnachbar klärte ihn auf, der Minister habe im Voraus festgelegt, wer wo sitze. »Das hat er bestimmt von den Franzosen gelernt«, fügte der Mann sarkastisch hinzu. Hamid fand seinen Platz zwischen zwei schweigsamen Druckereibesitzern. Bald waren alle Teilnehmer bis auf den Minister eingetroffen, und Hamid fiel auf, dass kein einziger Scheich in der auserwählten Runde anwesend war.
Dann betrat der Minister den großen Raum. Man spürte seine Kraft bis zum letzten Sitz am großen ovalen Tisch. Georges Mansur war ein hochgebildeter, junger Literaturwissenschaftler, der nach seinem Studium in Frankreich für kurze Zeit als Professor an der Universität Damaskus gearbeitet hatte, bis ihn der Staatspräsident Schischakli Ende 1952 mit der Reform des Schulsystems beauftragte.
Hamid verstand nicht, wie ein Christ mit der Erziehung der Kinder in einem Land beauftragt werden konnte, dessen Mehrheit Muslime waren. Doch nach einer Stunde war er vom Charme und von der Vision des Ministers so fasziniert, dass er selbst nicht mehr verstand, warum er am Anfang dieses Unbehagen gespürt hatte.
»Ich habe die Religionslehrer nicht eingeladen, weil wir über Reformen sprechen müssen, die die Religion nicht betreffen. Sie werden morgen zu einer separaten Sitzung eingeladen, bei der nicht ich, sondern der gelehrte Scheich Sabbak ihnen die neuen Richtlinien vorstellen wird, die unser Staatspräsident beschlossen hat.
Ich habe aber für heute die zwei besten Damaszener Drucker eingeladen, damit sie uns beraten und auch retten, für den Fall, dass wir zu viel träumen! Sie als Männer der Druckerschwärze wissen, dass unsere Träumereien unbezahlbar sein können.«
Der Minister wusste genau, was er wollte. Georges Mansur war ein begnadeter Redner, der das Arabische besser als viele muslimischen Gelehrten beherrschte. Er jonglierte meisterlich mit Zitaten, Versen und Anekdoten aus der arabischen Literatur.
»Damaskus war immer das Herz Arabiens, und wenn das Herz krank ist, wie soll der Körper gesund bleiben?«, fragte er zu Anfang seiner Rede.
Hamid hing, wie die meisten Männer im Raum, dem Mann an den Lippen. Der schien alles bis ins letzte Detail vorbereitet zu haben. Er leitete seine Rede damit ein, dass der Staatspräsident grünes Licht für eine radikale Reform im Schulsystem gegeben habe und dass er ihnen, den Experten, diesen offenen und großzügigen Spielraum zur Verfügung stellen werde. Nun gelte es, für die syrischen Schüler das Beste daraus zu machen.
Hamid spürte sein Herz klopfen, denn er ahnte langsam, wohin der Weg des Ministers führen würde. Er irrte sich nicht.
»Die erste radikale Reform betrifft die Sprache«, sagte dieser mit ruhiger Stimme, »denn mit der Sprache gestaltet der Mensch seine Gedanken. Dass wir eine schöne, in mancher Hinsicht aber veraltete Sprache benutzen, ist kein Geheimnis mehr. Sie leidet unter mehreren Schwächen, die ich hier nicht auszuführen brauche. Nur eine davon wollte ich gerne erwähnen, damit Sie sehen, wie heikel die Heilung von den Narben der Zeit ist. Es ist die Überfrachtung unserer Sprache mit Synonymen. Keine andere Sprache der Welt kennt diese Schwäche, die wie eine Stärke schillert und manchen Araber sogar mit Stolz erfüllt. Wir müssen das Arabisch von allem Ballast befreien, es schlanker machen, damit es eindeutig wird. Schauen Sie die Franzosen an. Sie haben ihre Sprache mehreren radikalen Reformen unterzogen, bis sie eine moderne Sprache wurde und anderen Völkern als Vorbild galt. Bereits im Jahre 1605 begann man unter Malherbes Einfluss die Sprache zu reinigen. Es folgte eine Reihe mutiger Reformen. Alle Schritteschienen vom Spruch des Philosophen Descartes inspiriert, wonach Klarheit das oberste Gebot der Sprache sei. So konnte dann
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