Das Geheimnis Des Kalligraphen
Kalligraphen versucht, liberale Scheichs, Islamgelehrte, Professoren und konservative Politiker von der Idee einer notwendigen Reform der Schrift zu überzeugen. Vergebens.
Sein Schwiegervater, Rami Arabi, der als einer der radikalsten Verfechter der Modernisierung im Lande galt, war überzeugt von der Notwendigkeit der Korrekturen an der arabischen Sprache und Schrift. Aber er vermutete, kein einzelner Muslim würde sich daran wagen, weil viele irrtümlich glaubten, dass dies dem Koran widerspreche. Deshalb wollte er auch Hamid zurückhalten.
Als Hamid ihn fragte, warum er als angesehener Scheich und Gelehrter nicht für die Reform eintrete, zumal sein Name an den hochgeachteten und in Damaskus sehr beliebten Dichter und Sufigelehrten Ibn Arabi erinnere, lachte dieser nur laut auf. Hamid sei naiv, sagte er, ob er nicht begreife, dass er wegen viel kleinerer Differenzen mit großen Scheichs hier in dieser kleinen Moschee gelandet sei. Man habe ihm erst kürzlich einen Fanatiker in die Moschee geschickt, der ihn mit Fragen nach der Kalligraphie und nach ihm, seinem Schwiegersohn, provoziert habe, und er hatte gefürchtet, der junge Mann würde auch ihn angreifen, doch Gott sei gnädig gewesen. Aber auch ohne ein Messer in den Rippen sei seine Versetzung in diese Moschee Strafe genug. Einen Mann des Buches zu Ignoranten und Analphabeten zu schicken sei schlimmer als die Todesstrafe.
Ob Hamid noch nicht begriffen habe, dass die entscheidende Frage nicht die nach Mut oder Feigheit, sondern die von Macht und Gewalt im Staat sei. Alle radikalen Veränderungen an Sprache und Schrift der Araber waren immer nur durch den Staat durchgeführt worden. Und der arabische Staat war niemals das Resultat des Willens oder der Vernunft der Mehrheit, sondern der Sieg einer Sippe gegen die anderen. Deshalb müsse er nicht ihn, sondern zehn Männer der stärksten Sippen des Landes gewinnen. Dann würden die »Reinen« sogar den Vorschlag akzeptieren, die Araber sollten ihre Sprache mit chinesischen Schriftzeichen schreiben.
Hamid wusste, dass sein Schwiegervater recht hatte, und dennoch war er enttäuscht. Er solle nicht so ein Gesicht machen, sagte sein Schwiegervater beim Abschied, was solle ein Moscheescheich wie er denn machen, wenn man ihn endgültig aus dem Dienst entlassen würde, betteln könne er nicht und für einen Sänger sei er zu hässlich. Er klopfteHamid zärtlich auf die Schulter und meinte, er könne für ihn vielleicht Tinte kochen und das Atelier aufräumen.
Eine Woche später folgte eine noch größere Ernüchterung, als Hamid Scheich Muhammad Sabbak begegnete, der unter den muslimischen Gelehrten als mutiger Reformator galt, der mit gewagten Thesen über die Befreiung der Frau und die soziale Gerechtigkeit provozierte. Man witzelte in Damaskus, der Scheich dürfe wegen seiner Haltung gegenüber der Frau die eine Hälfte der arabischen Länder nicht betreten, die andere Hälfte der Länder deswegen nicht, weil man ihn als getarnten Kommunisten betrachte.
Aber in Syrien war er sehr angesehen, zumal er auch der Schwiegervater des Verteidigungsministers war. Hamid eröffnete ihm unter vier Augen seine Idee von der Notwendigkeit der Reform der Schrift. Er bat ihn um seinen Beistand. Der untersetzte Mann sprang auf, als hätte ihn ein Skorpion in den Hintern gestochen. Er schaute Hamid mit aufgerissenen Augen an: »Bist du verrückt oder tust du nur so? Ich habe Frau und Kinder. Wer soll sie ernähren, wenn ich als Gottloser in Schande sterbe?«
Ende 1952 hatte man Hamid erzählt, die Islamgelehrten von Aleppo seien besonders mutig, aber bei einem Besuch bei ihnen und bei mehreren Professoren in der Metropole des Nordens erntete er nur Ablehnung.
Als er Serani von seiner Niederlage in Aleppo erzählte, blieb dieser ungerührt und zeigte nicht die geringste Verbundenheit. Erst beim Abschied sagte er: »Geh nicht zu schnell voran, die Leute sind sehr langsam, sie verlieren sonst deine Spur.«
Hamid hatte damals nicht verstanden, dass er durch die Ungeduld, die ihn immer weiter vorwärtstrieb, dabei war, sich von seinen Anhängern abzusetzen.
Auch das Treffen mit dem Kultusminister schien ihm zunächst wie eine glückliche Fügung. Es war aber ein böses Omen, wie er jetzt im Gefängnis erkannte.
Mitte April 1953 erhielt er ein Schreiben vom Kultusministerium, das damals alle Schulbücher herausgab. Der neue Kultusminister wolltemit Autoren, Pädagogen, Sprachwissenschaftlern, Geographen,
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