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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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religiösen Konservativen und religiösen Fanatikern fließend waren. Hatten sie vielleicht auch beim Widerstand gegen ihn, der im Bund ausbrach, als er gerade die Solidarität aller brauchte, ihre Finger mit im Spiel gehabt?
    Hatte man Nura vielleicht entführt, um ihn zu entehren? Bestand die Rolle des Hurenbocks Abbani vielleicht nur darin, ihn zu beauftragen, Briefe zu schreiben, die sich für einen Außenstehenden lasen, als wäre er der Zuhälter seiner eigenen Frau?
    Hatte er den Falschen getötet?
    Warum hatte der Kaffeehausbesitzer gegen ihn ausgesagt? War er womöglich mit belastenden Zeugenaussagen erpresst worden, die ihn, den Schwulen, ins Gefängnis hätten bringen können? Es war für Abbanis Brüder und Rechtsanwälte nicht schwer gewesen herauszufinden, dass Almas, die vierte Ehefrau, irgendwie mit dem Mord zu tun hatte. Abbani hatte erst kurz zuvor sein Versteck in ihr Haus verlagert.
    Warum aber hatte Karam ihn auf Abbani gehetzt? Alles wegen der matronenhaften Cousine? Schwer zu glauben. War der Mord geplant als Strafe für die große Unterstützung, die Abbani der Kalligraphieschule gewährt hatte? Oder musste Karam Abbani töten lassen, bevor dieser Hamid die Wahrheit über die Liebesbriefe sagen konnte?
    Hatte nicht der Nachbar Nagib, ein knauseriger Goldschmied, der sonst nie sein Atelier betrat, ihn plötzlich besucht und angedeutet, vornehme Leute hätten ihn beauftragt zu fragen, ob er, Hamid, zu einemklärenden Gespräch mit Nassri und seinem Geschäftsführer Taufiq bereit sei? Hamid hatte den Mann wütend hinausgeworfen und ihm nachgerufen, sein Atelier wie bisher nicht zu betreten.
    Wie konnte Karam von diesem Vermittlungsversuch gewusst haben? Er hatte ihn im Voraus vor dem Goldschmied gewarnt, da dieser ein ungläubiger Christ und selbst mehrfach gehörnt sei. Nagib Rihan war fast sechzig und hatte eine zwanzigjährige Frau geheiratet, die damals als drittklassige Sängerin auftrat.
    Wenn Abbani nicht der Liebhaber seiner Frau gewesen war, warum musste er dann sterben?
    War er selbst durch die Ereignisse zu einem Instrument geworden, um den Bund zu zerstören?
    Hamid erstarrte bei diesem Gedanken und schüttelte heftig den Kopf, nicht um zu verneinen, sondern um sich von diesem tödlichen Gedanken zu befreien.
    Auf all diese Fragen wusste er keine Antwort.
     
    14.
     
    H amid war vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt, als er den Vers zum ersten Mal hörte:
     
    Elend leiden die Vernünftigen im Paradies
    Und paradiesisch wohl fühlen sich Ignoranten im Elend.
     
    Damals hatte er gedacht, es handele sich um ein akrobatisches Wortspiel.
    Aber nein, darin lag die bittere Wahrheit. Sein Wissen über die Buchstaben und die Unzulänglichkeiten der arabischen Sprache hatten ihn in die Hölle gebracht, zu einem Volk der Ignoranten, das sich täglich schweinisch in Sünden suhlte und in seiner Mehrheit aus Analphabeten bestand, das die Schrift nicht als Instrument des Verstandes ansah, sondern als unantastbares Heiligtum.
    In Europa, das sagte ihm der Minister damals, hätte man ihm ein Denkmal gesetzt, hier musste er um sein Leben fürchten. Er presste die Lippen zusammen bei diesem Gedanken und betrachtete seine nackten Füße. Sie steckten in erbärmlichen Schuhen, die einst elegant waren. Jetzt mussten sie, hinten aufgeschnitten, als Hausschuhe dienen.
    Was ist aus meinem Leben geworden?
     
    15.
     
    L ange Zeit dachte Hamid Farsi, die Angriffe gegen ihn hätten um das Jahr 1956 begonnen, also zu dem Zeitpunkt, als die Gründung der Kalligraphieschule bekannt wurde.
    Eines Morgens entdeckte er jedoch in seinem geheimen Tagebuch eine Bemerkung, die ihn erschreckte. Er musste sie viele Male überlesen haben. Es war nur eine unauffällige kurze Zeile: »Ein böser Anruf, der aufgeregte Mann bezeichnete mich als Agenten der Ungläubigen.« Das Datum war der 11. Oktober 1953.
    Eine Seite später las er: »Zwei große Aufträge für die Renovierung der Omaijaden-Moschee wurden zurückgezogen«, darauf folgte ein Ausrufezeichen und dann das Datum vom 22. November 1953.
    Natürlich hatte er all das damals nicht beachtet, weil er ohnehin zu viele Aufträge hatte und seine Mitarbeiter schon bis an den Rand ihrer Kraft arbeiteten.
    Wie oft hatte er den Hinweis übersehen? Jetzt in seiner Zelle erkannte er, dass er wesentlich früher ins Fadenkreuz seiner Feinde geraten war, als er bisher gedacht hatte.
    Dieses Datum war kein Zufall.
    Kurz nach seiner Hochzeit mit Nura hatte er mit mehreren

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