Das Geheimnis Des Kalligraphen
zu dir!«
Zwei Wochen später erzählte Nuras Vater, irgendein reicher Sprössling einer adligen Sippe wollte sie als vierte Frau haben. Er habe ihm natürlich abgesagt, weil seine Tochter einen Mann verdiene, der nur sie liebe.
Einen Monat später lud die Nachbarin Badia Nura und ihre Mutter zu einem Kaffee ein. Nura hatte überhaupt keine Lust, aber aus Höflichkeit ging sie mit.
Wenn sie genau nachdachte, kam sie immer wieder zu der Überzeugung, dass ihre Mutter an jenem Tag bereits eingeweiht war und Nura deshalb mehrfach aufforderte, sich schön anzuziehen. Das war ungewöhnlich, weil Nachbarn sich meist in Hauskleidern und nicht selten auch mit Hausschuhen besuchten.
Im Wohnzimmer der Nachbarin saß eine ältere, sehr vornehme Dame, die als Majda vorgestellt wurde. Sie sei die Tochter des berühmten Händlers Hamid Farsi und ihre Freundin, erklärte Badia. Ihr Mann arbeite in Saudi-Arabien, weshalb sie nur selten nach Damaskus komme. Und die Dame bestätigte mehrfach, wie angesehen ihr Mann dort sei und dass sie in einem Palast lebten, das Land sie aber sehr langweile, weshalb sie einmal im Sommer ihr kleines Haus in Salihije aufsuche.
Während sie erzählte, fixierte sie Nura mit ihren kleinen, aber scharfen Augen, und Nura spürte, wie der Blick der Frau durch ihre Kleider drang und sie unruhig machte.
Alles war ein furchtbares Schmierentheater, aber sie hatte es nicht durchschaut. Bereits beim ersten Besuch bat Badia Nura, doch bitte den Kaffee zu kochen, weil sie ihn angeblich aus ihren Händen sehr mochte. Nura hatte noch nie einen besonders guten Mokka gekocht. Sie machte ihn so gut und so schlecht wie jedes siebzehnjährige Mädchen in Damaskus. Aber da sie das Haus der Nachbarin in- und auswendig kannte, stand sie auf und ging in die Küche. Sie ahnte nicht, dass die Fremde dabei mit geübten Augen ihren Gang prüfte. Als Nura den Kaffee servierte, rief sie begeistert: »Was für eine Grazie!«
Die Frauen sprachen offen über alles, und Nura fand die Unterhaltung zu intim für ein erstes Gespräch mit einer fremden Frau am Tisch. Plötzlich begann Badia einen früh verwitweten, reichen Kalligraphen, über den sie viel zu wissen schien, zu loben. Nuras Mutter beteuerte, es mache weder ihr noch sonst einer vernünftigen Frau etwas aus, wenn jemand kinderlos verwitwet sei.
»Kinderlos ist er, Gott sei Dank, aber wenn er eine junge Gazelle zur Ehefrau nimmt, würde er von ihr gerne ein paar schöne Kinder haben«, erwiderte die Fremde, musterte Nura und ließ ihre Augenbrauen vielsagend tanzen. Nura wusste nun, dass sie gemeint war, und war peinlich berührt.
Wenig später verabschiedeten sie und ihre Mutter sich und brachen auf. Gleich hinter der Tür blieb die Mutter stehen und deutete Nura an, sie solle mithören, was die Frauen über sie redeten. Das Gespräch ließ nicht lange auf sich warten. Laut und deutlich sagte die Fremde zu ihrer Gastgeberin: »Eine Gazelle. Gott schütze sie vor den Neidaugen. Sie ist noch dürr, aber man kann sie zu einer Schönheit rausfüttern, denn ihr Gerüst ist schön, ihr Gang ist sehr weiblich, ihre Hände sind warm und trocken und ihr Blick ist stolz. Vielleicht ist er ein wenig zu stolz.«
»Sicher, sicher. Das sind alle Frauen, die Bücher lesen, aber wenn dein Neffe ein Mann ist, bricht er ihren Stolz in der ersten Nacht und zeigt ihr, dass er der Herr im Haus ist, und wenn er das nicht schafft, so sei es drum, dann leben die Männer wie bei dir und mir auch nicht schlecht.«
Beide Frauen lachten.
Ihre Mutter schien das intime Gespräch zu fesseln, Nura dagegen war es peinlich. Sie wollte nur weg.
Monate später erfuhr Nura, dass ihre Mutter bereits am nächsten Tag zum Atelier des zukünftigen Bräutigams gegangen war und ihn beobachtet hatte. Es war ein feines helles Atelier, mit einem Empfangssalon aus Marmor und Glas wie ein modernes Museum. Das Suk-Saruja-Viertel galt als erste Adresse. Trotzdem konnte sich die Mutter nicht vorstellen, dass man vom Schreiben leben kann, wo ihr Mann doch etliche Bücher geschrieben hatte und immer noch arm war. Als sie ihre Bedenken Badia anvertraute, meinte diese beruhigend, dass Hamid Farsi einer der besten Kalligraphen in Damaskus sei und ein wundervolles Haus besitze. Deshalb könne man ihn nicht mit Nuras Vater vergleichen. Sie besorgte sogar den Schlüssel des Hauses. Nuras Mutter lehnte es jedoch ab, ohne die Tante des zukünftigen Bräutigams Gemächer zu betreten. So trafen sie sich am Gewürzmarkt,
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