Das Geheimnis Des Kalligraphen
Suk al Busurije, und schlenderten gemeinsam zum Haus.
»Das ist kein Haus, das ist ein Stück Paradies«, flüsterte Nuras Mutter, und all ihre Bedenken waren weggefegt. In der Tat hatte das Haus alle Merkmale des Paradieses, wie es sich die Damaszener vorstellten. Wenn man von der Ostseite durch die Haustür eintrat, gelangte man in einen dunklen Korridor, der Lärm, Staub und Hitze der Straße auf ein Minimum reduzierte. Etwa in der Mitte des Korridors öffnete sich links die Tür zu einer sehr großen Küche, genau wie sie sich Nuras Mutter immer erträumt hatte. Gegenüber lag neben einer modernen Toilette eine Kammer für alte Möbel, leere Gläser, große Einmachtöpfe, Destillen und andere Haushaltsgeräte, die man höchstens einmal im Jahr brauchte. Vom Korridor gelangte man zu einem Innenhof, der mit buntem Marmor, Springbrunnen, Zitronen-, Orangen- und Aprikosenbäumen neben etlichen Rosen und einem Kletterjasmin alle Sehnsüchte befriedigte. Überdachte Nischen und großzügige Wohn-, Gäste- und Schlafzimmer umgaben den Innenhof. Nuras Mutter wollte den ersten Stock gar nicht mehr besichtigen. Es war genug, was sie im Erdgeschoss gesehen hatte.
Sie erzählte weder ihrem Mann noch Nura von diesem geheimen Besuch. Auch später nicht.
Aber von da an war sie überzeugt, dass Hamid Farsi das Glück ihrer Tochter sein würde. Und so begann sie, vorsichtig mit dem Vater darüber zu reden. Später, nach Nuras Flucht, behauptete sie jedoch, dass sie von Anfang an Zweifel an dem Mann gehabt habe. Nuras Vater bekam selten Wutausbrüche, aber wenn seine Frau in ihrer Erinnerung diese Phase der Vermittlung falsch darstellte, schimpfte er mit ihr.
Eine Woche nach der besagten Besichtigung kam Badia mit Majda zu ihnen zum Kaffee. Sie saßen gemeinsam um den Brunnen und sprachen über die Träume der Frauen, die alle in einem Punkt zusammenzulaufen schienen, nämlich, den Ehemann glücklich zu machen.
Damals hielt Nura das Geplauder für Heuchelei, denn weder ihre Mutter noch Badia lebten nach dieser Maxime. Ihr Vater wäre mit jeder anderen Frau glücklicher gewesen, davon war sie bereits als Kind überzeugt.
Majda sprach lange auf sie ein, es waren Höflichkeitsfloskeln, die Nura erwidern musste und wie jedes Damaszener Mädchen auch erwidern konnte. Beim Abschied überraschte Majda sie mit einer herzlichen und kräftigen Umarmung. Sie erlaube ihr, sie einfach mit ihrem Vornamen Majda anzusprechen. Dann aber erschrak Nura, als die Frau sie direkt auf den Mund küsste. Es war nicht unangenehm, denn die Frau roch gut und hatte einen schönen Mund, aber Nura war es peinlich.
»Warum?«, fragte sie irritiert, als sie und ihre Mutter später wieder alleine waren.
»Majda will aus der Nähe prüfen, wie du riechst und ob du einen appetitlichen Mund hast.«
»Und warum?«, fragte Nura verwundert.
»Weil Majdas Neffe, ein berühmter Kalligraph, nach einer Frau sucht«, antwortete die Mutter, »und du kannst dich glücklich schätzen, wenn es klappt.«
Nura fühlte ein sonderbares Glück, dass ein berühmter Mann um ihre Hand anhielt. Eine Woche später sollte sie mit ihrer Mutter ins Hammam gehen und dort Majda und Nachbarin Badia treffen.
Erst später erfuhr sie, dass Hamid Farsis Tante ihren nackten Körper prüfen wollte, um sich ein endgültiges Urteil zu bilden.
Doch nun kam die nächste Überraschung. Ihre Mutter, die sich vor einem Spatz im Innenhof schämte, erlaubte der Fremden, die eigene Tochter zu betasten und zu überprüfen. Nura war wie benommen, sie ließ sich von der Frau alles gefallen, die Überprüfung von Vagina, Busen, Achselhöhlen, Nase und Ohren.
Eine weitere, sonst übliche Peinlichkeit blieb Nura erspart, denn der gute Ruf der Familie Arabi war weit bekannt und machte die Befragung der Nachbarn überflüssig.
Dann folgten Wochen der Unsicherheit.
Nach dem Hammam meldete sich die Frau lange nicht. Nuras Mutter konnte kaum noch schlafen, als stünde sie selbst vor der Ehe.
Und dann kam sie und beruhigte die Mutter mit der frohen Botschaft, Hamid Farsi würde Nura gerne zur Ehefrau nehmen. Nuras Mutter weinte vor Freude. Tante Majda und sie selbst regelten nun alles ganz genau, vom Brautgeld bis zu dem Termin, an dem die Männer all das aussprechen sollten, was die Frauen wochenlang ausgehandelt hatten.
Hamids Onkel, der Ehemann von Tante Majda, kam extra aus Saudi-Arabien angereist. Er war in Begleitung dreier sehr reicher Händler vom Suk al Hamidij, als wollte er zeigen, welche
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