Das Geheimnis Des Kalligraphen
wie junge Mädchen. Sie saßen in Gruppen, seiften sich ein und schrubbten einander oder stimmten Lieder an.
Nura folgte der beleibten Frau in eine ferne Nische, die wie eine türlose Kabine aussah. Die Hebamme warf einen Blick hinein und sagte: »Hier können wir es erledigen.«
Nura wusste von ihrer Mutter, dass sie an dem Tag am ganzen Leib enthaart werden sollte. Die Hebamme ging routiniert und rücksichtslos vor und entfernte Streifen für Streifen mit einem speziellen Zuckerteig die Haare. Es schmerzte wie Schläge mit einem Nadelbrett, wie die Stiche einer Wespe. Der Schmerz steigerte sich und wurde unerträglich, als die Schamhaare entfernt wurden. Nura hatte das Gefühl, als risse die Hebamme ihr die Haut vom Leib. Sie weinte, aber statt sie zu trösten, schlug ihr die Hebamme ins Gesicht. »Schweig, Mädchen«, knurrte sie. »Wenn du diese lächerlichen Schmerzen nicht aushaltenkannst, wie willst du deinen Mann ertragen. Das hier ist ein Spielchen.« Sie wusch sie mit groben Bewegungen ab und eilte hinaus. Und nach wenigen Minuten kam die Friseuse. Sie beruhigte Nura, dass die Hebamme immer etwas hart sei. Sie schnitt ihr die Fuß- und Fingernägel, wusch und frisierte ihr die Haare und erzählte ihr Tricks, wie sie ihren Mann, den sie nicht mochte, schnell zum Höhepunkt brachte, wenn er mit ihr schlief.
Im Nachhinein kam sich Nura wie ein Lamm vor, das in den Tagen vor der Hochzeit gewürzt und zubereitet wird. Die Friseuse puderte und parfümierte sie. Ein mächtiger Durst ergriff ihren Hals, aber sie wagte nichts zu sagen. Ihr Körper brannte und die Luft im Hammam wurde immer heißer. Als sie sich aufrichten wollte, drehten sich die Wände vor ihren Augen. Die Friseuse griff ihr sofort unter die Achseln, Nura fühlte den Atem der Frau in ihrem Nacken. Die Friseuse küsste sie am Hals. »Mein Kind, was ist mir dir?«, flüsterte sie zärtlich.
»Ich habe Durst«, antwortete Nura. Die Friseuse ließ sie langsam auf den Boden sinken und eilte hinaus. Kurz darauf kam sie mit einer Messingschale mit kühlem Wasser zurück, und als Nura einen Schluck nahm, schmerzte ihre trockene Kehle. Wie benommen beobachtete sie die Hand der Friseuse, die ihre Brüste streichelte. Sie war willenlos und sah ihre Brustwarzen wachsen, als gehörten sie einer Fremden.
»Du kannst mich besuchen, wenn du willst. Ich verwöhne dich so, wie kein Mann dich verwöhnen kann«, flüsterte die Friseuse und küsste sie auf die Lippen.
Nach dem Bad gingen Nura und ihre Mutter schweigend nach Hause. Nura war traurig, weil ihr die Freude auf die Hochzeit gründlich vergangen war.
Nuras offizielle Verlobung fand im Haus ihrer Eltern statt, das die Schar der Gäste gerade noch aufnehmen konnte. Es duftete nach Weihrauch, schwerem Parfum und Wachs. Hundert große Kerzen bester Qualität hatte ihre Mutter aus Aleppo besorgt, um das elektrische Licht zu unterstützen. Die Mutter traute dem Elektrizitätswerknicht. Solange die Franzosen im Land waren, hatte das Werk immer funktioniert. Seit der Unabhängigkeit brach in der Altstadt der Strom jede Woche zweimal zusammen. Dunkelheit in der Verlobungs- oder Hochzeitsnacht glich für die Mutter dem größten Unglück auf Erden, war ein Omen für ein düsteres Eheleben.
Bei der Hochzeit ihrer Nichte Barake habe man nicht auf sie gehört, erzählte die Mutter oft. Nura erinnerte sich, dass der Strom zusammengebrochen war. Die Leute blieben gelassen, nur ihre Mutter verbreitete damals Panik. Man behalf sich mit Öllampen, aber die Mutter behauptete, sie würde am Ölgestank ersticken.
Drei Jahre später vergiftete sich die junge Frau nach ihrer dritten Fehlgeburt. Und ihre Mutter hatte eine Erklärung: der Stromausfall in der Hochzeitsnacht.
Nura erinnerte sich noch lange nach ihrer Verlobung an den Weihrauch. Ihr Vater hoffte, damit das Haus in einen Tempel zu verwandeln. Sie fand den Duft sehr sinnlich. Eine junge Nichte warf nach Anweisung der Mutter immer wieder kleine Brocken des begehrten Weihrauchharzes in mehrere kupferne Glutschalen.
Als Nuras Vater mit einem Buch in der Hand auf einen Tisch kletterte, wurden die Leute still. Er las ein paar Geschichten aus dem Leben des Propheten vor und warf zwischendurch strenge Blicke auf einige Frauen, die unentwegt Bonbons und kandierte Früchte in sich hineinstopften.
Die offizielle religiöse Zeremonie der Verlobung hielt auf Wunsch des Bräutigams der bekannte Scheich der großen Omaijaden-Moschee Mahmud Nadir. Der Bräutigam war
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