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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Liebe, bis er wieder aufstehen konnte, der Tod mit seiner Blässe aus seinem Gesicht wich und die Farbe zurückkehrte. Dalia erlebte das Paradies an der Seite eines witzigen und schönen Mannes. Es störte sie nie, dass er ein Müßiggänger war. Sie gönnte es ihm und erwiderte allen Lästerern: »Lasst ihn doch das Leben genießen, ihr Geizigen und Neider. Er hat so viele Jahre gelitten.« Sie gab mit beiden Händen Geld für ihn aus und arbeitete wie eine Besessene, damit sie keine Schulden machen musste. Ihr Mann war sehr charmant und anfangs auch sehr lieb zu ihr, doch dann begann er sie zu betrügen. Alle Welt wusste es, nur Dalia wollte es nicht wissen.
    An einem schönen Sommerabend wartete Dalia mit dem Essen auf ihn, weil es der dritte Jahrestag ihrer Hochzeit war und sie sich von der Zahl drei etwas Glück erhoffte. Da klingelte das Telefon, und eine Frauenstimme sagte knapp und kalt, sie solle die Leiche ihres Mannes abholen. Er liege nach einem Herzinfarkt im Treppenhaus.
    Die Anruferin war eine bekannte Hure im neuen Stadtviertel. Dalia fand ihn tatsächlich dort auf der Treppe liegend. Sein Gesicht war verkrampft und schnitt eine böse Grimasse. Dalia rief die Polizei und noch am selben Abend kam heraus, dass der Tote Dauergast in jenem Puff war und dass die Frauen und Diener im Haus ihn als reichen und verschwenderischen Mann kannten, der nur sehr junge Huren haben wollte. Der Herzinfarkt hatte ihn dahingerafft.
    Nach diesem Schock liebte Dalia weiterhin Männer, wollte aber nie wieder mit einem zusammenleben. Nura war sicher, dass Dalia einen Liebhaber hatte, denn manchmal sah sie einen bläulichen Fleck an deren Hals. Wer aber der Liebhaber war, konnte Nura nie herausfinden.
    Dalia beriet als erfahrene Frau Mitarbeiterinnen und Kundinnen, wenn sie sich bei ihr über ihre Männer beschwerten. Oft hatte Nura den Eindruck, einige Frauen brauchten keine Kleider, sondern lediglich die Ratschläge der Schneiderin.
    Nura konnte von ihrem Arbeitsplatz aus alles hören, was auf der Terrasse besprochen wurde, solange sie ihre Nähmaschine nicht betätigte. Und so hörte sie vom Kummer der feinen Frau Abbani, einer reichen jungen Frau, die nicht gerade mit Schönheit begnadet war, dafüraber mit einer zauberhaften Stimme. Nura bemerkte eine wundersame Verwandlung bei dieser Frau. Solange sie schwieg, sah sie eher mitleiderregend aus, doch sobald sie erzählte, verwandelte sie sich in eine äußerst anziehende Frau. Sie war sehr gebildet und wusste viel über Sterndeutung, Dichtung und vor allem über Architektur. Aber von Männern hatte sie keine Ahnung und war mit ihrem Mann todunglücklich.
    Frau Abbani ließ sich bei Dalia zwölf Kleider im Jahr nähen, so konnte sie jede Woche einmal vorbeikommen und bei einem Kaffee ihr Herz ausschütten. Die Chefin durfte sie Nasime nennen, alle Mitarbeiterinnen mussten ihr als Madame Abbani absoluten Respekt entgegenbringen.
    Nasime Abbani war die beste Schülerin ihrer Klasse gewesen und hatte nie etwas von Männern wissen wollen. Sie träumte von einer Karriere als Architektin und zeichnete als Mädchen großartige Entwürfe für Häuser der Zukunft, die das heiße Klima berücksichtigten und im Winter nahezu ohne Heizung auskamen. Ein raffiniertes Belüftungssystem, das Nasime bei einem Urlaub im Jemen gesehen hatte, war das Geheimnis dieser Häuser.
    Ihre Mutter war sehr jung verwitwet, aber steinreich. Ihr ganzer Ehrgeiz bestand darin, den Besitz ihres verstorbenen Mannes nicht an einen Erbschleicher zu verlieren. Also beschloss sie, nur gute Partien für ihre zwei Söhne und die einzige Tochter zu finden, was ihr auch gelang. Alle drei heirateten in noch reichere Familien ein.
    Bei Nasime war es der Sohn einer Freundin der Mutter. Dass sie die dritte Frau dieses Mannes war, störte offenbar nur Nasime. Dalia kannte Nasimes Mann. Er besaß viele Häuser und Ländereien und war ein mächtiger Mann in der Stadt.
    Nasimes großes Problem war, jeden dritten Tag die sehnsüchtige Ehefrau spielen zu müssen. Danach hasste sie sich zwei Tage lang. Sie durfte ihrem Mann gegenüber nie ein ehrliches Wort aussprechen, sondern immer nur bejahen, was er sagte. Sie fühlte sich dadurch wie erschlagen vor Müdigkeit, denn die Lüge macht müde, wenn das Herz sie nicht trägt, und Nasimes Herz war rein wie das eines fünfjährigen Mädchens. Immer musste sie die Muntere spielen und ihn massieren,küssen und erregen, bis er auf Touren kam. Doch sie mochte seinen Körper nicht. Er

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