Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
sollte ich mich darauf einlassen, mich mit Ihrer Geschichte abspeisen zu lassen, statt meine Mutter persönlich zu fragen?«
»Weil Ihre Mutter lieber sterben würde, als zuzulassen, dass Sie die Wahrheit erfahren«, erwiderte Moira leise. »Und deshalb mache ich Ihnen ein Angebot. Sie kommen mit mir in die Küche, einen Raum, den Debbie um diese Zeit gewiss nicht betritt. Und dort werde ich Ihnen erzählen, was Sie wissen wollen. Sie dürfen mir glauben. Debbie hat mir alles über ihre Familie hundertmal erzählt. Als sie sich noch daran erinnerte. Und sie hat nichts beschönigt. Danach gehen Sie wieder, und Debbie wird niemals erfahren, dass Sie sie aufgespürt haben.«
Grace zögerte eine Weile, doch dann nickte sie zustimmend. »Gut, Sie erzählen es mir, und ich entscheide dann, ob ich sie danach noch sehen will oder nicht.« Sie blickte Moira prüfend in die Augen. »Wie kann ich mir sicher sein, dass Sie die Wahrheit sagen?«
»Ich schwöre es. Wenn Sie Debbie in Ruhe lassen, werde ich nichts verschweigen. Gar nichts. Und am Ende werden Sie verstehen, warum wir es ihr nicht zumuten können, dass Sie ihr leibhaftig gegenüberstehen. Vertrauen Sie mir. Bitte!« Das klang flehend.
Grace konnte sich nicht helfen, aber sie vertraute dieser Frau tatsächlich. Moira handelte ganz offensichtlich nicht aus purem Egoismus, sondern sie schien Deborah wirklich über alles zu lieben und beschützen zu wollen.
»Gut. Ich bin einverstanden, aber wenn ich das Gefühl habe, dass Sie mich genauso betrügen, wie mein Stiefvater oder Misses Almond es tun ...«
»Sie kennen Debbies Schwester?« Die pure Panik stand in ihren Augen.
»Ihre Schwester?«, gab Grace schockiert zurück. Das waren also die familiären Bande. Dann war Antonia ihre ... Grace wurde schwindlig.
»Ja, Suzan Almond ist Debbies Schwester. Und die hat Ihnen nicht verraten, was damals geschehen ist? Was soll das? Was führt sie im Schilde? Und sind Sie sicher, dass sie Ihnen nicht gefolgt ist?«, fragte Moira mit überschnappender Stimme.
»Ja, ich kenne sie, aber ich wusste nicht, dass sie ihre Schwester ist. Ich habe erst vor ein paar Tagen erfahren, dass sie mich nach Neuseeland gelockt hat, damit ich mich auf die Suche nach meiner Mutter mache. Nur den Grund dafür kenne ich nicht. Deshalb mochte ich ihr auch nicht mehr vertrauen. Nein, sie ist mir nicht gefolgt. Da dürfen Sie sicher sein. Ich habe sie schon in Dunedin abgehängt.«
Moira atmete erleichtert auf. Grace überlegte, ob sie sofort nachfragen sollte, warum Moira Suzan so fürchtete, aber das würde sie sich für später aufheben. Sie musste erst einmal den Schock überwinden, dass Suzan Almond offensichtlich ihre Tante war. Was für ein Albtraum!, dachte Grace.
»Also, sollten mir die geringsten Zweifel an Ihrer Geschichte kommen, werde ich mich direkt an meine Mutter wenden. Ist das klar? Ob sie dann stirbt oder nicht, das ist mir dann ziemlich egal!«, bemerkte sie bissig.
Zögernd ließ Moira ihre Arme, die sie immer noch schützend vor die Tür gehalten hatte, sinken.
»Kommen Sie, aber bitte leise. Nicht dass Debbie aufwacht. Sie wird jetzt bestimmt noch zwei Stunden schlafen. Und ich bin mir sicher, dass Sie, nachdem ich Ihnen alles erzählt habe, darauf verzichten werden, Sie mit Ihrer Gegenwart zu konfrontieren.«
Grace folgte Moira schweigend ins Haus.
Dunedin, Februar 1935
Barbra stand am Grab ihres Vaters, Arthur Evans, und weinte bittere Tränen. Er fehlte ihr so entsetzlich. Und jedes Mal, wenn sie den Friedhof besuchte, wurde sie schmerzhaft daran erinnert, wie sie ihn gefunden hatte. Unten im Keller reglos neben der Nachbildung des Riesenmoa am Boden liegend. Sie hatte lange nicht glauben wollen, dass er nie wieder mit ihr lachen und scherzen würde. Es war am heutigen Tag genau ein Jahr her, seit sein Herz einfach aufgehört hatte zu schlagen. Barbra suchte sein Grab häufig auf und hielt dann Zwiesprache mit ihm. Besonders dann, wenn sie traurig war. Und das war sie seit seinem Tod meistens. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sich nur noch intensiver in ihre Arbeit vergraben hatte. Heute Abend sollte im Festsaal der Universität eine Ehrung für Arthur Evans stattfinden, und ihre Mutter hatte alle Hände voll damit zu tun, das große Ereignis vorzubereiten. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen. Und wenn Antonia keine Feste plante, kümmerte sie sich unermüdlich um die Fortführung der Ornithologischen Gesellschaft Dunedins, die sie zusammen mit ihrem
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