Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
Mann gegründet hatte.
Barbra schniefte. Sie tat sich selbst leid. Ihr Vater hatte bei all seiner beruflichen Eingespanntheit immer noch Zeit gefunden, sich um sie zu kümmern, während ihre Mutter ausschließlich für die alten Knochen im Keller lebte. Und außerdem trauerte sie nach Barbras Empfinden viel zu wenig um ihren Mann. Gut, sie hatte anfangs viel geweint, aber jetzt? Sie schien ihn nicht wirklich zu vermissen.
»Vater«, schluchzte Barbra, »ich hasse diese Knochen. Bitte verzeih mir, aber ich wünschte, sie wären fort.«
Sie meinte, die Stimme ihres Vaters beschwichtigend sagen zu hören: »Kleines, geh hin zu ihr. Sag ihr, dass du sie brauchst. Sie meint es nicht böse. Sie merkt es gar nicht. Glaube mir!«
Mit diesen Worten hatte er sie bereits zu Lebzeiten jedes Mal aufzuheitern versucht, wenn sie sich über das Desinteresse ihrer Mutter beschwert hatte. Eines war für Barbra so klar wie das Amen in der Kirche: Sie würde sich niemals so sehr in eine Arbeit verbeißen wollen. Nein, sie wollte sich nur um ihre Familie kümmern, wie es die meisten anderen Mütter ihrer Mitschülerinnen taten. Ihr machte auch die Schule nur bedingt Spaß, doch ihre Mutter beschwor sie ständig, sich anzustrengen. Dann nämlich könne sie später einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Doch nichts lag Barbra ferner als das. Vögel interessierten sie überhaupt nicht, und ausgestorbene schon gar nicht. Barbra hoffte, sobald es an der Zeit war, dem Mann zu begegnen, der sie liebte und der sie heiraten wollte.
»Ach, lieber, lieber Dad«, seufzte sie verzweifelt. »Schade, dass du mich nicht zum Altar führen kannst. Weißt du, dass er groß sein und blondes Haar haben soll? O ja, ich will einen attraktiven Mann.«
Barbra hielt inne. Sie glaubte, sein herzliches Lachen und ihn sagen zu hören: »Aber Schatz, du bist noch ein Kind.«
Aber ich werde schon in einem Monat fünfzehn, dachte sie sehnsüchtig, und dann ist es höchstens noch zwei Jahre hin, bis ich mich verloben darf.
»Ich muss dich leider wieder verlassen, weil ich sonst zu spät komme. Mutter will zu deinem Ehrentag alles besonders gut machen. Sogar ein neues Kleid habe ich bekommen. Es ist fliederfarben, hat einen Gürtel auf der Hüfte, vorn und hinten einen spitzen Ausschnitt und einen Volant. Mutter sagt, ich sehe zu alt darin aus, aber ich habe ihr gedroht, nicht mitzukommen, wenn sie mich in ein Kinderkleid steckt. Das ist doch albern bei meiner Größe.« Barbra stieß einen tiefen Seufzer aus, bevor sie sich rasch umwandte und nach Hause eilte.
Antonia wartete schon ungeduldig auf sie, doch bevor sie schimpfen konnte, pfiff Barbra anerkennend durch die Zähne, als sie ihre Mutter in einem prachtvollen Kleid vor sich stehen sah. »Du siehst wie immer wunderschön aus«, schwärmte sie. Antonia schenkte ihr ein dankbares Lächeln, und Barbra tat es bereits leid, dass sie sich eben am Grab ihres Vaters so bitterlich über die Mutter beklagt hatte. Eines muss man ihr lassen: Sie ist die schönste Mutter der Welt, dachte Barbra voller Stolz, sie ist wie eine Elfe. Keiner würde jemals darauf kommen, dass sie auf die fünfzig zugeht. Ohne zu zögern umarmte Barbra sie stürmisch.
»Kleines, denk an meine Frisur!«, rief Antonia lachend. »Und nun schnell, zieh dich um. Peter ist schon mit dem Wagen vorgefahren«, fügte sie mahnend hinzu.
Barbra rannte die Treppen hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Sie beeilte sich, in ihr neues Kleid zu schlüpfen, und als sie in den Spiegel sah, juchzte sie vor lauter Begeisterung laut auf. Die Farbe passte ideal zu ihrem dunklen Bubikopf. Auch den hatte sie sich hart erkämpfen müssen. »Er macht dich zu alt«, hatte Antonia die moderne Frisur verhindern wollen, doch Barbra hatte sich durchgesetzt, wie sie überhaupt immer ihren Willen bekam. Mit hartnäckigem Betteln schaffte sie es stets.
Sie hat recht, ich sehe mindestens aus wie siebzehn, dachte Barbra hocherfreut. Natürlich lag es auch an ihrer Größe. Sie überragte ihre Mutter mindestens um einen Kopf. Überhaupt gab es zwischen ihnen kaum eine Ähnlichkeit. Barbra sah immer aus, als wäre sie gerade in der Sonne gewesen, während Antonia sich ihre vornehme Blässe bewahrte. Barbra hatte dickes schwarzes Haar, während Antonia feine blonde Löckchen besaß. Du kommst nach deinem Vater, pflegte Antonia immer zu sagen, er war als junger Mann auch so dunkelhaarig. Auf jeden Fall hatte Barbra nichts von der jungmädchenhaften
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