Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
eine Familie gewesen wären ...« Er stockte. »Bist du jetzt enttäuscht?«
Suzan lächelte. »Nein, gar nicht, ich weiß doch, wie verrückt du nach Kindern bist. Sonst hättest du Debbie doch damals niemals geheiratet, wenn sie nicht schwanger ...« Sie brach ihren Satz ab.
»Das ist wohl wahr. Nur wegen ihrer Schwangerschaft habe ich es getan, und ich gebe zu: Ich habe mich sogar ein wenig auf unser Kind gefreut und geglaubt, dann könnte ich eines Tages vielleicht auch Debbie lieben. Damals hätte man mich auch gesellschaftlich geächtet, wenn ich eine Schwangere, und dazu noch eine blutjunge Frau, ja beinahe noch ein Kind, hätte sitzen lassen. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren einiges geändert, aber ich möchte trotzdem mit der Mutter meines Kindes verheiratet sein. Außerdem hast du mir das bei unserem Wiedersehen im Moa-Verlies versprochen.
»Mein altmodischer Schatz! Aber mir gefällt das«, gurrte Suzan.
Sean hatte ihr die ganze Zeit, während sie sich unterhielten, zärtlich über den Bauch gestreichelt. Nun wanderten seine Hände höher bis hinauf zu ihrer Brust.
Stöhnend legte Suzan das Manuskript beiseite. »Du lässt mich einfach nicht arbeiten. Dann werde ich mir eben beim Vortrag einen abstottern, und du blamierst dich bis auf die Knochen. Und dann überlegst du dir, ob du mich noch heiraten willst ...«
»Niemals«, erwiderte Sean und spürte deutlich seine Erregung, als Suzan sich ohne Vorwarnung aufsetzte und geschickt über seine Lenden balancierte. Voller Begehren fasste er nach ihren Brüsten, die schon jetzt, im vierten Monat ihrer Schwangerschaft, merklich gewachsen waren.
Suzan saß jetzt rittlings auf ihm und gab den Rhythmus ihres Liebesspieles an. Erst langsam, dann immer wilder und leidenschaftlicher, als wäre es ihr allerletztes Mal.
Chalmers/Dunedin, Mitte April 2009
Der Friedhof lag außerhalb des Ortes auf einem Hügel, von dem man weit über das Meer blicken konnte. Schaumkronen tanzten auf dem blaugrauen Wasser, obwohl der Wind inzwischen etwas abgeflaut war. Es hatte aufgehört zu regnen. Möwen kreisten über den Gräbern. Sie kreischten so laut, als ob sie damit die Toten zum Leben erwecken wollten. Sogar ein Albatross drehte erhaben seine Runden. Die Luft war klar und salzig.
Die kleine eiserne Pforte quietschte, als Grace sie öffnete. Sie hasste Friedhöfe. Noch nicht ein einziges Mal war sie an Claudias Grab gewesen, doch hier oben am Meer war ihr nicht so beklemmend zumute wie sonst, wenn sie einen Friedhof betrat. Die Gräber waren nicht eng an eng platziert, sondern weit auseinander gelegen. Die grauen verwitterten Steine wirkten eher wie Findlinge in der Natur. Und die kleine Kapelle mutete wie eine Berghütte an.
Andächtig blieb Suzan vor einem dieser schlichten grauen Steine stehen, denen man ansah, dass sie hier oben den Naturgewalten ausgesetzt waren. Grace las mit klopfendem Herzen die gemeißelten Buchstaben: Hier fand Sean Albee, geboren am 12. Februar 1932 und gestorben am 15. Januar 1971, seine letzte Ruhe.
In diesem Moment brach die Wolkendecke auf, und ein kräftiger Sonnenstrahl bahnte sich seinen Weg zur Erde. Als wäre dieser Strahl nur für sie vom Himmel geschickt worden, tauchte er das Grab ihres Vaters in ein goldenes Licht.
Grace wurde seltsam ruhig, als die Sonne auch Suzan und sie mit ihrer Wärme umhüllte. Sie wollte es als Botschaft begreifen. Plötzlich erschien ihr ihre eigene Lage gar nicht mehr so verworren und aussichtslos. Keiner würde sein Leben verlieren, wenn sie zu ihren Gefühlen stand. Ihr Leben lag noch vor ihr. Ihre Liebe war zum Greifen nahe. Sie durfte nicht fliehen. Dieses Mal nicht!
»Könntest du mich bitte gleich bei jemandem vorbeifahren und im Wagen auf mich warten?«
Suzan nickte. »Bis morgen, mein Liebling«, flüsterte sie.
Jetzt erst sah Grace die frischen Blumen auf seinem Grab.
»Kommst du oft hierher?«
»Jede Woche, seitdem sie mich aus dem Krankenhaus entlassen haben.«
Schweigend verließen sie den Friedhof. Gerade noch rechtzeitig, um nicht von einem neuerlichen Wolkenbruch erwischt zu werden.
Als wäre es wirklich nur ein kleiner persönlicher Gruß vom Himmel gewesen, war in Sekundenschnelle alles wieder düster geworden. Die Wolken hingen fast bis zur Erde, und dort, wo sie eben noch das Meer gesehen hatten, versperrten ihnen dicke Regenschleier die Sicht. Sie begannen zu rennen.
Die Wetterwand holte sie in dem Augenblick ein, als sie beim Wagen angelangt waren. Mit
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