Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
wünschte, als endlich allein in ihrem Zimmer zu sein, stieg sie aus dem Wagen. Es wehte ein frischer Wind, der mit ihrem Sommerkleid spielte.
Grace atmete tief durch. Die frische Meeresluft tat ihr gut. Dann riskierte sie an der Absperrung einen flüchtigen Blick nach unten. Schade, dass wir nicht fliegen können, dachte sie, als über ihnen ein Albatross seine riesigen Schwingen ausbreitete. Ja, manchmal wünschte sie sich die Leichtigkeit eines majestätischen Vogels.
»Wollen wir noch eine Kleinigkeit essen gehen, oder soll ich lieber zuhause etwas kochen und wir setzen uns in den Garten?«
Grace zuckte mit den Schultern. Sie hatte gar keinen Hunger, was selten genug bei ihr vorkam.
»In der Nähe von unserem Inder gibt es einen tollen Italiener. Marco's Pizza - Pasta.«
»Auf keinen Fall!«, erwiderte Grace hastig. Sie soll jetzt bloß nicht fragen, ob es einen bestimmten Grund gibt, dass ich dort nicht hingehen möchte, dachte sie, Suzan aber fragte nur: »Wollen wir los?«
Die Rückfahrt verlief schweigend. Grace konnte sich nicht helfen. Sie verspürte einen leichten Groll gegen Suzan. Warum legt sie immer die Finger in meine Wunden?, fragte sie sich, um sich in demselben Moment darüber bewusst zu werden, dass sie ungerecht war. Suzan hatte das Restaurant doch völlig arglos vorgeschlagen. Und wollte sie ihr übel nehmen, dass sie sich um sie sorgte und ihr eigentlich nur zu helfen versuchte?
Vielleicht sollte sie kurzerhand Ethan anrufen und ihn auffordern, ihr die Wahrheit über ihre Herkunft zu sagen, denn er kannte sie mit Sicherheit. So rot, wie er angelaufen war, als er behauptet hatte, Adoptiveltern würden die Namen der leiblichen Eltern nicht kennen ... Dann würde Suzan in diesem Punkt bestimmt endlich Ruhe geben. Und sie, Grace, würde merken, dass sich in ihrem Leben nichts veränderte, nur weil sie dann vielleicht wusste, wie ihre Erzeuger hießen, wenn ihr Vater überhaupt bekannt war. Wahrscheinlich bin ich das uneheliche Kind einer Mutter, die selbst noch ein Kind gewesen ist, mutmaßte Grace.
»Hat dein Adoptivvater wirklich niemals die leiseste Andeutung gemacht, wer deine Eltern sind?«, fragte Suzan plötzlich aus heiterem Himmel.
»Suzan! Bist du taub? Du sollst mich damit in Frieden lassen!«, schnaubte Grace. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Nein, mein Vater hat keinen Schimmer, wer meine Eltern sind«, behauptete sie nun entgegen ihrer eigenen Überzeugung, aber was ging es die Professorin an, dass Ethan ganz offensichtlich mehr wusste, als er zugeben wollte?
»Er weiß bestimmt mehr, aber er will es dir nur nicht sagen. Vielleicht möchte er um jeden Preis verhindern, dass du Nachforschungen anstellst. Das ist ziemlich egoistisch, wenn du mich fragst«, knurrte Suzan.
»Suzan, dich fragt aber keiner! Und überhaupt! Du kennst ihn doch gar nicht. Er weiß nichts. Gar nichts. Wenn ich den Drang hätte, etwas zu erfahren, dann müsste ich bei null anfangen und auf eigene Faust nachforschen. Und ich wiederhole mich ungern, darum ein allerletztes Mal zum Mitschreiben: Ich habe keine Lust dazu!«
»Warum nicht? Es ist heilsam, wenn man weiß, dass bestimmte Dinge in der Familiengeschichte begründet sind und sich Muster wiederholen ...«
Grace stöhnte genervt auf. »Ja, ich weiß, jede deiner Vorfahrinnen hatte ihr Geheimnis. Und? Hat es dich weitergebracht, darüber Bescheid zu wissen?«
»Ja, ich weiß, dass ich ein Recht habe, mich zu wehren. So wie Selma, die sich bitter gerächt hat für all das Unrecht, das man ihr angetan hat. Man muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Man darf, nein, man muss sogar Gleiches mit Gleichem vergelten ...« Sie unterbrach sich hastig.
Grace sah sie entgeistert an. Da war sie wieder: die hasserfüllte Fratze, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann war Suzan wieder die Alte.
»Ja, es hat mir genützt. Selma und Antonia sind meine großen Vorbilder geworden. Und ich werde dir auch genau verraten, warum. Aber erst koche ich uns etwas, und dann erzähle ich dir im Garten, was ihnen widerfahren ist.«
Suzan und Grace wollten gerade das Haus der Professorin betreten, als sie hinter sich ein lautes Räuspern vernahmen. Sie wandten sich erstaunt um.
»Du?«, fragte Grace überrascht. Vor ihr stand Barry in einem weißen Hemd, einer sauberen Hose und geschnittenem Haar. Er wirkte nicht mehr verwahrlost, sondern sah gepflegt und sehr attraktiv aus. Er war rasiert, und seine Augen strahlten sie offen an. Nichts mehr
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