Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
Suzan, als sie scharf abbremste und hielt.
Grace reckte den Hals, aber sosehr sie sich auch bemühte, sie sah nur eine grüne Wiese mit ein paar Steinen darauf.
»Komm! Wir steigen aus.«
»Aber da ist doch gar nichts.«
»Doch, ein paar Mauerreste sind noch zu erkennen. Du musst wissen, das ist eine Besonderheit dieser Gegend. Die vielen Häuser aus Stein. Im Norden wirst du überwiegend Holzhäuser finden.«
»Wurde das Haus abgerissen?«, unterbrach Grace sie neugierig.
»Nein, es brannte bis auf die Grundmauern nieder.«
Grace grinste. »Es wird wohl keinen Sinn haben, wenn ich dich jetzt fragen würde, wann das war und wie es geschehen ist.«
Suzan lächelte hintergründig. »Du kennst mich ja schon erstaunlich gut, denn du hast recht. Ich kann den Brand unmöglich aus dem Zusammenhang reißen. Alles zu seiner Zeit. Du bleibst noch etwas, oder?«
Grace blickte nachdenklich über den Otago Harbour, der dort unten in seinem leuchtenden Blaugrün wie malerisch hingegossen lag. Ihr Herz wollte Ja schreien, während ihr Verstand immer noch hin- und hergerissen war. Nach einer halben Ewigkeit fragte sie leise: »Reichen zwei Monate, um deine Geschichte zu Ende zu hören und endlich zu erfahren, warum du ...« Sie unterbrach sich erschrocken.
»Dich interessiert also das Ende? Gibt es bei euch in Deutschland nicht auch den schönen Spruch, den man Konfuzius zuschreibt: Der Weg ist das Ziel?«
»Den Spruch gibt es, aber ich für meinen Teil wüsste immer gern, was mich am Ziel erwartet. Sonst mache ich mich lieber gar nicht erst auf die Reise. Und wenn ich jetzt zwei Monate bleibe, ohne zu wissen, wohin es mich führt, ist das für meine Verhältnisse schon ein echtes Risiko. Denk nicht, dass ich, weil ich dermaßen unvernünftig war, nach Neuseeland zu reisen, so etwas öfter tue. Das habe ich selten getan, dass ich mich von einer unbestimmten Sehnsucht habe leiten lassen. Aber man kann sagen, was man will, es hat sich schon jetzt gelohnt. Einfach, weil ich deine Bekanntschaft gemacht habe. Zwei Monate und keinen Tag länger!«
»Dann werde ich in meiner Geschichte ein wenig schneller voranschreiten, damit wir fertig sind, wenn du zurückgehst. Aber nun fahren wir erst einmal nach Taiaroa, besichtigen das Fort und gehen zum Leuchtturm.«
Auf der weiteren Strecke die Küstenstraße entlang, die durch den Ort Portobello bis zu den Klippen von Taiaroa führte, schwieg Grace. Sie ließ ihren Blick mal flüchtig nach links und mal nach rechts schweifen, hing aber ansonsten ihren Gedanken nach. Plötzlich musste sie an ihren nächtlichen Albtraum denken, den sie bis eben hatte erfolgreich verdrängen können. Ein Traum, der sie einst über Wochen so gequält hatte, dass sie sogar einen Therapeuten aufgesucht hatte. Doch da war sie nur ein einziges Mal hingegangen.
Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Vater?, hatte der Mann sie gefragt. Damals, mit Anfang zwanzig, hatte sie noch nicht geahnt, dass ihr Vater gar nicht ihr Vater war und ihre Mutter nicht ihre Mutter. Und trotzdem hatte sie die Frage dämlich gefunden. Sie war zu diesem Mann gegangen, um zu erfahren, was sie tun sollte, um wieder ruhig zu schlafen, und er fragte nach der Beziehung zu ihren Eltern. Und dann, kurz darauf, war der Traum von selbst weggegangen und niemals wiedergekommen. Bis gestern Nacht. Er war so lebendig gewesen, als hätte er sie nie verlassen. Grace schüttelte es bei der Erinnerung an die grellen Bilder: Sie watet durch kniehohes Wasser, doch dann färbt sich das Wasser rot. Es ist Blut, aber sie marschiert weiter, als wäre nichts geschehen.
Grace war mit pochendem Herzen aufgewacht.
»Schau nur, das ist Otakau, eine Maorisiedlung. Mama Maata kam von da.«
Grace aber hörte diese Worte nur wie von ferne. Sie war in Gedanken immer noch bei ihrem Traum.
»Grace, ist dir nicht gut? Soll ich anhalten?«
»Nein, nein, schon ok ...« Grace überlegte kurz, ob sie Suzan von ihrem Albtraum erzählen sollte, aber sie befürchtete, die würde ihr dann gleich wieder mit der heilsamen Suche nach den eigenen Wurzeln kommen.
»Ist dir schlecht?«
»Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe heute Nacht nicht so gut geschlafen.«
»Du bist sehr blass. Ich glaube, wir besuchen erst den Strand der Gelbaugenpinguine. Dort sind wir an der frischen Luft. Oder ist es mein Fahrstil? Man sagt mir nach, dass ich gern etwas zu zügig unterwegs bin.« Sie lachte. »Dabei muss dir das hier doch wie Schneckentempo vorkommen. Erlaubt sind bei uns
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