Das Geheimnis des Moguls
dürfen, wie hart seine Großmutter klang. Er wusste, dass er die schlechtesten Seiten an ihr hervorbrachte – und umgekehrt. Plötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine verlassene Junge, der gehörig zurechtgewiesen worden war ‒ von der einzigen Verwandten, die überhaupt noch da war, um sich um ihn kümmern zu können.
Und zugleich stand er als 33-Jähriger vor der Vorstandsvorsitzenden.
„Ethan, es reicht endgültig. Deine Partys und Frauen ziehen diese Firma in ein Jammertal. Sie lenken dich ab. Und dabei machen sie dich nicht einmal glücklich.“ Seine Großmutter starrte ihn mit dem unnachgiebigen Blick an, der schon Tausende von Geschäftsabschlüssen besiegelt hatte. „Ethan, ich will, dass du spätestens bis zu meinem Geburtstag verheiratet bist.“
Er quittierte ihre Bemerkung mit einem Lachen.
„Ich scherze nicht!“ Sie lehnte sich nach vorne. Plötzlich fielen Ethan die tiefen Fältchen um ihren Mund und die Tränensäcke unter ihren Augen auf.
„Großmutter“, sagte er, um einen beruhigenden Tonfall bemüht. „Ich bin erwachsen. Ich entscheide, wann es Zeit ist zu heiraten.“
„Ich wünschte nur, das könnte ich glauben.“ Ihre Stimme wackelte, und er begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. „Ich habe versucht, geduldig zu sein, Ethan, aber ich habe große Angst, dass unsere Familie aussterben wird.“ Sie hob eine zittrige Hand, um seinen Protest abzuwehren. „Ich weiß ja, dass du Angst hast. Aber wir können jetzt testen . Wir können sicherstellen, dass deinen potenziellen Kindern eine Genmutation erspart bleibt.“
Er hatte seine Großmutter noch nie weinen gesehen. Nicht beim Tod von Ethans Geschwistern. Nicht, als die Ehe von Ethans Eltern an der Trauer zerbrach. Nicht, als die Verantwortung für das Unternehmen an ihr hängen blieb, das ursprünglich gegründet worden war, um nach einer Behandlungsmöglichkeit für ein wohlbehütetes Familiengeheimnis zu forschen, einen Gendefekt, der in eine Krankheit münden konnte. Und nicht, als sie ihren Ehemann nach einundfünfzig Jahren verlor.
Aber jetzt weinte sie tatsächlich.
„Du hast eine Verantwortung, Ethan. Gegenüber der Familie Hartwell und gegenüber der Firma. Und dir selbst gegenüber. Es wird Zeit, dass du sesshaft wirst.“ Sie hatte anscheinend den reflexartig aufkeimenden Protest in seinem Gesicht gelesen. Denn sie richtete sich auf und starrte ihn aus haselnussbraunen Augen an. „Wenn du nicht gewillt bist, bleibt mir nichts anderes übrig, als vom Vorstand zurückzutreten und meine Anteile an Hartwell Genetics zu übertragen.“
Ihre Anteile waren groß genug, um nahezu jede Unternehmensentscheidung zu beeinflussen. Wenn jemand anders diese besäße, müsste Ethan regelrecht kämpfen, um das Geheimnis seiner Erbanlagen nicht zu verraten und die Forschung dennoch in seinem Sinne weitertreiben zu können. Er würde unweigerlich viele Stunden darauf verschwenden müssen, sich bei neuen Geschäftspartnern einzuschmeicheln, und unter neuer Führung würden seine langfristigen Pläne vielleicht nie wahr werden.
„Das meinst du nicht so!“, sagte er.
„Doch! Ich muss wissen, dass ich irgendetwas aufgebaut habe, das bleibt, Ethan, etwas, das mich überlebt.“ Er konnte jedes ihrer neunundsiebzig Jahre in ihrer Stimme hören. „Ethan, es ist einfach wichtig für mich zu wissen, dass du deiner Pflicht nachkommst. Dass du Hartwell Genetics durch die nächsten fünfzig Jahre führst. Wenn du mir das nicht beweisen kannst – wenn du bis zum 5. Januar nicht verheiratet bist –, dann feiere ich meinen Achtzigsten damit, meine gesamten Anteile an die American Foundation for the Advancement of the Arts zu übertragen.“
AFAA. Das Lieblingsprojekt seiner Großmutter.
Es war sogar schlimmer, als er vor wenigen Augenblicken noch gedacht hatte. Die AFAA hatte keinerlei Interesse an Medizin. Solch einen großen Anteil an Aktien würde die Stiftung nur als konservatives Investment betrachten. Und mit Freude würde sie jede von Ethans Entscheidungen infrage stellen.
Ethan seufzte. Er hatte vor zwei Monaten seine Großmutter zur jährlichen Versteigerung der Stiftung ins luxuriöse Eastern Hotel begleitet, von wo aus man Aussicht auf das Washington Monument hatte.
Er schluckte. An jenem Abend hatte er der Auktionatorin einen Drink spendiert und dann im Penthouse des Hotels eine Suite gebucht.
Sloane. Sloane Davenport.
Er sah noch immer Sloanes unsicheres Lächeln, während sie zugab, so etwas noch nie zuvor
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