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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Flacke
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Bewusstsein, das aus sich selbst heraus zu explodieren schien. Tausende von Menschenschreie durchzuckten die Welten jenseits der Zeit. Rauch waberte hoch und fraß sich in einer gigantischen, grauschwarzen Säule dem Firmament entgegen. Immer mehr Rauchwolken drängten wie wuchernde Todesgeschwüre nach, als hätte sich die Erde geöffnet und der Leibhaftige selbst würde beißenden Höllenqualm ausspucken. Jetzt wuchs die Wolkensäule zu einem monströsen Dämonenkoloss, der sich wie ein verquollener Riesenpilz über das zerstörte Land wölbte. Nostradamus spürte nicht, wie er verzweifelt in die Knie sackte, satt des unermesslichen Grauens und des Todes. Sein Schrei gellte wie der eines tödlich verwundeten Tiers durch die Nacht.
    »Monsieur Notredame!«, zischelte es. Raunten die Toten ihm etwas zu? Wollten sie sich in ihm festfressen, um in einem menschlichen Körper zurück zur Erde zu kommen? Verzweifelt schüttelte er sich und warf sich zu Boden.
    »Monsieur Notredame!« Jetzt erkannte er die flüsternde Stimme, die sich wie ein klärender Lichthauch durch das Dunkel tastete. Er spürte, wie eine Hand ihn sanft schüttelte. Benommen öffnete er seine Augenlider. Grelles Sonnenlicht blendete ihn. In den flirrenden Lichtstreifen, die durch das schmale Fenster seines Labors fielen, tanzten Staubteilchen wie aufgewirbeltes Pulver von Fischschuppen.
    »Draußen warten Menschen«, presste Marie mit gequälter Stimme hervor. Ihre Augenlider waren verquollen, das Weiße rötlich entzündet. »Sie rufen nach Euch.«
    Nostradamus verzog schmerzhaft das Gesicht. Seine Haut war blass, die Wangen eingefallen. Langsam richtete er sich auf, wie ein Erschöpfter, den das Leben niedergeprügelt hat. Jetzt hörte er vom Hausflur her ängstliches Tuscheln und ungeduldiges Scharren von Füßen.
    »Wo ist er, der große Arzt Nostradamus?«, gurrte ein altes Weib mit gebrochener Stimme. »Hat er in diesen Schreckenstagen keine Zeit mehr für unsereins?«
    »Vielleicht hockt er ja niedergeschlagen in seiner Wohnung, wo er doch seine ganze Familie verloren hat«, raunte es. »Wir sollten ihn holen!«
    Das Trippeln und Trappeln von Schritten auf der Holztreppe hallte zu ihnen herüber. Es klang wie das ungeduldige Aufbegehren von Klopfgeistern, die um Einlass bettelten. Nostradamus wischte sich mit dem Jackenärmel übers Gesicht, dann riss er die Tür auf. »Wartet drüben im Arztzimmer auf mich«, rief er mit heiserer Stimme. »Ich komme sofort.«
    Marie sah, wie er sich noch einmal mit jeder Faser seines Körpers streckte. Seine Glieder knackten, sein wirrer Blick versuchte wieder Anschluss an das Leben zu bekommen, das auf ihn wartete. Da fiel sein Blick auf das silberne Kästchen. Mit zitternden Fingern klappte er den Silberdeckel zu. Der Mechanismus verhakte sich mit leisem Klicken. Dann verstaute er es in der Innentasche seiner ledernen Jacke, atmete noch einmal tief durch und wankte davon. Marie blieb wie verloren zurück. Ihr Kupferhaar war strähnig verklebt, der Blick ihrer entzündeten Augen wie von Schleiern überzogen. Mit einer unendlich langsamen Bewegung wischte sie sich übers blasse Gesicht, als hätte die Zeit für sie keine Bedeutung mehr.
    Noch spät in der Nacht lief Nostradamus rastlos durch die Straßen, verteilte im Flammenlicht der Pechfackeln selbst gedrehte Pillen, versorgte Pestkranke und wusch und reinigte Wunden. Nur seine Augen wirkten unendlich müde, sein Gesicht wie erstarrt, als hätte der Schmerz ihm jegliche Regung genommen.
    Marie hockte zusammengesunken auf der Steinstufe vor dem Arzthaus. Sie trug ein kurzes Leinenkleidchen, das wohl irgendwann einmal Catherine gehört haben musste. Mit leerem Blick schaute sie hoch in den klaren Nachthimmel. Das Band der Milchstraße glitzerte und glimmerte in Tausenden von winzigen Lichtpunkten. Ob das Himmelreich dort oben hinter den Kristallschalen lag? Hatte der allmächtige Gott Mama, Papa und die Geschwister dorthin ins Paradies geholt? Immer wieder tauchten Fantasiebilder in ihr auf, wie sich die lodernden Flammen der Scheiterhaufen gierig durch die toten Leiber ihrer Eltern und Geschwister fraßen. Da wehte der Nachtwind Brandgeruch von den Lavendelfeldern herüber. Marie spürte bitteres Würgen im Hals. Tränen liefen ihr übers Gesicht. In Verzweiflung krallte sie die Fingernägel tief in ihre nackten Oberschenkel. »Mama!«, schluchzte sie leise.
    In diesem Moment humpelte ein ächzender Alter vorbei, der von einem jungen Weib gestützt wurde.

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