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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Flacke
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Sein Gesicht war bewegungslos wie eine Wachsmaske. Fassungslos starrte er auf die vertrockneten Rosenblätter, ohne auch nur ein einziges wahrzunehmen. Draußen hallten Schmerzensschreie durch die Gassen. Das helle Klingeln des Totenglöckchens klang wie der Ruf des Kiebitz: »Komm mit! Komm mit!«. Wieder wurden neue Pestleichen mit dem Handkarren fortgeschafft, um sie auf dem nahen Marktplatz zu verbrennen. Maries Körper schien sich jetzt unter lautlosem Schluchzen aufzubäumen. Die Zeit war brüchig geworden. Diese Minuten würden sich für alle Ewigkeiten in ihre Seele einbrennen.
    Stunden mochten so vergangen sein, bis Michel plötzlich von einer unbändigen Wut gepackt wurde. Er stemmte sich hoch, schleuderte den Holztisch zur Seite, sodass die Keramikvase splitternd zerkrachte, und stapfte davon, auf die Rue St. Georges hinunter und weiter zum Marktplatz, wo die nächsten Holzfeuer zum Verbrennen der Leichen entfacht worden waren.
    »Halt«, schrie er. Seine Mundwinkel waren verzerrt. »Wollt ihr die ganze Stadt ausrotten? Was verbrennt ihr die Toten hier auf dem Platz? Raus damit, auf die Felder. Wer weiß denn, wie die Pest durch die Luft weitergetragen wird!«
    »Aber Monsieur Bernard hat verfügt…«, wandte einer der Alabres ein.
    »Ach ja? Hat er als Parlamentarier auch verfügt, dass ihr am Leben bleibt?«, fuhr Nostradamus ihn jähzornig an, während er gegen einen brennenden Holzscheit trat, der mit wirbelnden Flammen durch die Luft flog. Gleichzeitig schnappte er den Totenbestatter am Kragen. »Ich schwöre Euch, ich werde Euch vors Halsgericht bringen, wenn Ihr nicht sofort meinen Anweisungen folgt!«
    Mit weit ausladenden Schritten lief er auf das Parlamentsgebäude zu, sein düsterer Umhang flatterte wie ein aufgeschreckter Dämon hinter ihm her.
    Nur kurze Zeit später riss er die Wohnzimmertür in der Rue St. Georges auf. Marie hockte immer noch in sich zusammengesunken an der Wand. Ihre Lippen waren blutig gebissen, die Augen rot unterlaufen. Nostradamus packte ein paar Decken, nahm Marie kurzerhand auf seinen Arm und stapfte mit ihr davon. Ihre dünnen Ärmchen legten sich zaghaft um seinen Hals, den müden Kopf ließ sie auf seine Schultern sinken. Auf der Gasse steuerte er geradewegs auf das kleine Kloster zu und trat auffordernd gegen die schwere Eichentür. Eine Nonne mit schwarzem Umhang und klapperndem Rosenkranz öffnete einen Spalt. Ohne zu zögern schob er sie beiseite und steuerte durch ein steinernes Tor auf den Klosterbrunnen zu, der in einem gepflasterten Hof lag. Dort riss er Marie die verdreckten Kleider vom Leib und schüttete ihr einen Eimer klares Wasser über den Kopf.
    »Zieh noch die Schuhe aus«, drang seine Stimme an ihr Ohr.
    Marie schlüpfte aus den Lederschühchen und warf sie beiseite.
    »Und jetzt wasch dich! Von oben bis unten«, befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete, und drückte ihr ein Stück Seife in die Hand. Marie schien wie in Trance, während sie ihren Körper abseifte. Im gleichen Moment zog er selbst sämtliche Kleider aus und wusch seinen nackten Körper ab. Ein aufgeregtes Tuscheln und Wispern war aus dem Nonnentrakt zu hören. Dann wickelte er sich in ein großes Tuch, warf Marie eine Decke zu und türmte die getragene Kleidung auf einen Haufen. Obenauf legte er Maries einziges Paar Schuhe. Mit einem entzündeten Span ließ er die Kleider in Flammen aufgehen. Dann packte er das Mädchen wieder auf den Arm und trug es zurück in die Rue St. Georges.
    Die Sonne war längst untergegangen, als Nostradamus noch immer in seinem Labor werkelte. Kerzen warfen tanzende Schatten an die Wände. In Kolben und Gläsern brodelten Essenzen. Der fein ziselierte Silberkasten lag geöffnet neben einem Glastrichter, aus dem eine rötliche Substanz tropfte. Zischelndes Stimmengewirr drang spöttisch an sein Ohr. »Was ist das nur für ein Arzt, der noch nicht einmal der eigenen Familie helfen kann? Wozu sind seine astrologischen Kenntnisse gut, wenn er es nicht vermag, solche Katastrophen vorauszusehen?« Gehässig tanzten diese Worte durch seinen Kopf, wieder und wieder prügelten sie auf ihn ein. War er es, der da sprach? Hörte er seine eigenen Gedanken, die tausendfach durch seinen Schädel hallten? Oder waren es tote Seelen, die nicht die Kraft hatten, das Erdenfeld zu verlassen, und ihn in den Wahnsinn treiben wollten? Benommen schüttelte er den Kopf, als ihn eine unbändige Kraft fortzog. Plötzlich flammte grelles Licht durch sein

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