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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Flacke
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Die zerlumpten Gewänder hingen in Fetzen von ihren Körpern. Im müden Schein der letzten Fackeln, die noch in den eisernen Halterungen glimmten, wirkten sie wie trostlose Schatten, die allmählich mit der Dunkelheit verschmolzen.
    »Ihr solltet morgen unbedingt den Arzt Nostradamus aufsuchen«, hörte Marie die sanfte Stimme des Weibes.
    Ein unwilliges Murren drang zu ihr herüber. »Nostradamus?«, hustete der Alte. »Wie sollte er mir helfen können, wenn er es noch nicht einmal vermochte, seiner eigenen Familie beizustehen!«
    Die schlurfenden Schritte verloren sich allmählich in den verwinkelten Gassen. Marie saß wie erstarrt, als wollte sie für ewige Zeiten in sich selbst versinken. Erst spät in der Nacht räkelte sie sich, als sie die Wärme von zwei starken Armen spürte, von denen sie ins Arzthaus getragen wurde.
    Kaum war die schwarze Pest eingedämmt, zogen auch schon erste Gerüchte wie dunkle Schreckensschwaden durch Agen de Provence. Sie hasteten von Mund zu Mund, erst zögerlich, dann nahmen sie immer mehr Form an, wie eine Skulptur, die aus Marmor herausgeschlagen wurde. War es tatsächlich Gottes Wille gewesen, dass dieses Pestgeschwür die Stadt in so tiefes Elend gestürzt hatte? So plötzlich, wie der schwarze Tod aufgetaucht war, war er doch auch wieder verschwunden! Und war nicht hauptsächlich der südliche Teil der Stadt betroffen gewesen, wo das Wasser aus dem Stadtbrunnen geschöpft wurde? Im nördlichen Bereich, der zum St. André-Brunnen gehörte, waren die meisten Menschen doch verschont geblieben, ja, sie hatten sich noch nicht einmal angesteckt. Ob irgendetwas mit dem Wasser nicht gestimmt hatte?
    Bauersleute mit gegerbten Gesichtern und Marktweiber, die Körbe mit flatternden Hühnern bei sich trugen, standen in Grüppchen und tuschelten. Herumziehende Handwerker und fahrende Händler nahmen das Aufgeschnappte mit, um die Neuigkeiten ins Wirtshaus zu tragen. Ein junger Prediger mit sehr blassen Lippen stellte sich auf einen fußhohen Steinsockel, der dicht an der kleinen Kapelle stand.
    »Die Pest hat im Land gewütet wie ein räudiger Hund, der nach Beute schnappt!«, rief er mit donnernder Stimme den zerlumpten Bettlern, den Mägden mit ihren rotbackigen Gesichtern und den Handelsleuten entgegen. »Aber habt ihr nicht mit frommen Gedanken dem Herrn gedient? Wie sollte Schuld über euch kommen, wenn ihr reinen Herzens gewesen seid? Warum sollte das göttliche Gericht mit euch Unschuldigen hadern?«
    »Was meint Ihr damit?«, brummte ein dicklicher Bauer mit einer Mistforke ungeduldig.
    »Ich sage euch: Es gibt teuflische Seelen, die innerlich zerfressen sind wie faulige Früchte und erst Ruhe geben, bis auch der letzte Gläubige vernichtet ist.« Die Augen des Predigers waren durch seine tief liegende Kapuze verdeckt. Trotzdem war es den Menschen, als würde sein durchdringender Blick ihre Seelen wie spiegelnde Gewässer nach dunklen Flecken absuchen. Demütig senkten sie ihre Köpfe.
    »Sagt, wer ist schuld an diesem Unglück?«, raunten ein paar zaghafte Stimmen. »Wer hat die Pest ins Land gebracht?«
    »Steht es nicht schon in der Bibel: Suchet und ihr werdet finden? Geht es nicht in eure Köpfe, dass vielleicht Ungläubige durch ihre gottlosen Sünden das Land vergiftet haben? Falsche Lehren wie die der lutherischen Hugenotten verseuchen die Luft, der unbändige Geistesgestank der Juden verpestet die Gedanken! Oder sollte ihr unbändiger Hass sie dazu getrieben haben, zu einem mörderischen Werkzeug des Leibhaftigen zu werden?«
    Die Marktweiber mit ihren Hühnerkörben und die fahrenden Handwerker sahen ihn gaffend an. Ein Bauer, der seine Ziege am Strick führte, kratzte sich nachdenklich an der verschorften Stirn. Für ein paar Atemzüge war es still, als bräuchte der ausgesäte Teufelssamen etwas Zeit, um fruchtbaren Boden zu finden.
    Dann rief eine junge Magd erschrocken: »Der Stadtbrunnen… das Wasser!« Sie bekreuzigte sich und leckte sich verstört über die trockenen Lippen. Die anderen fielen wispernd und flüsternd ein.
    »Ja, das Wasser!«
    »Der Stadtbrunnen!«
    »Er war vergiftet!«
    Die Rufe wurden lauter, entsetzter, anklagender. Einer stemmte eine frisch geschärfte Sense hoch und schrie: »Wo ist der Schuldige?« Der Bauer drohte mit der Mistforke, die Mägde ballten ihre Fäuste. In hilfloser Wut starrten sie zu der Stelle hinüber, wo eben noch der Prediger gestanden hatte. Aber der war spurlos verschwunden. Nur kurze Zeit später wurde eine gesunde

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