Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
ist.
Man stelle sich vor, es würden dort trotz alle Widrigkeiten Mitbürger mit Rollstuhl oder Rollator auftauchen, vielleicht weil sie dort mit dem Hubschrauber abgesetzt wurden. Was dann? Muss es erst Unfälle geben? Nur das vergleichsweise milde Wetter hat bisher Schlimmeres verhindert! Eine schnelle und preiswerte Lösung müsste her, was immer sich die Bürger darunter vorstellen, vielleicht einen Fahrservice oder ein Schlechtwetterverbot. Die Verwaltung macht einen ratlosen Eindruck.
Die grüne Stadtratsfraktion sorgt sich außerdem noch jahreszeitbedingt um die Kröten im Landkreis. Der Umweltausschuss hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die Amphibien sicher über die Straßen in und südlich von Priseberg kommen. Ein Tragedienst ist ebenso zu teuer wie eine Rolltreppe oder eine Klapp-, Hub-, Dreh-, Schrägseil-, Stahlbogen-, Vollplatten-, Rahmen-, Balken-oder Hängebrücke. Schwimm-oder Pontonbrücken wären billiger, stören aber den Autoverkehr. Eine Schwimmbrücke benötigt zudem Wasser unter sich. Die Straße müsste also zunächst geflutet werden. Dafür aber sei kein Geld da. Es läuft alles auf eine Umsiedlung der Tiere hinaus. Aktivisten reden von Vertreibung und stellen die Frage: Ist es schon wieder so weit? Diese Frage ist nie ganz unberechtigt.
Im Ausschuss denkt man, es komme im Wesentlichen darauf an, möglichst genau zu wissen, wo die Kröten die Straßen kreuzen werden. Ein Krötenbeirat wird gebildet, der ein Bewegungsdiagramm erstellen soll. Zusätzlich entscheidet sich der Ausschuss mehrheitlich dafür, dem Verwaltungsvorschlag zu folgen und die Raiffeisenenallee weiterhin präventiv zu sperren und auch in der Sohlstättenstraße ähnlich vorzugehen.
Aufregung bescherte die Tagesordnung dem Ausschuss dann gegen Abend, also kurz vor Ende des öffentlichen Teils der Sitzung: In Rudelsdorf wird offenbar wilder Müll abgelagert, und zwar in rauen Mengen, vor allem im Bereich des Hüttenweges. Ich ermüde. Morgens bin ich ohnehin nichtsonderlich wach, das Lesen des Ortsteiles aber verstärkt noch meine Schläfrigkeit und führt zu Lähmungserscheinungen. Ich beginne ein Nickerchen. Warum nicht?
Im Schlaf tanze ich im Kreis von Gleichgesinnten. Was aussieht wie Bewegungsversuche einer Gruppe herzkranker, bewegungseingeschränkter Rentner, ist in Wirklichkeit ein Workshop Folkloretanz. Eine dicke Frau mit tiefschwarz gefärbten Haaren und Warze auf der Nase lehrt Menschen in Leggings und Sportschuhen die Anmut fremdartiger Choreografien. Vergeblich.
Wie alle anderen habe ich Probleme, mich auf die Schritte zu konzentrieren, schon weil ich dabei stricke. Auch die Handarbeit darf in unserer Kulturinitiative nicht zu kurz kommen. Dabei soll entspannt geatmet werden. Leider sind die Kursteilnehmer außer Puste. Sich im Takt zu wiegen ist schwierig, während man in den Händen Stricknadeln hält und Zopfmuster werkelt. Ein Beutel mit Alpakawolle baumelt um meine Schultern. Kreativ sein ist wunderbar, aber anstrengend. Wir schnaufen.
Hinzu kommt, dass wir ständig ausweichen müssen, um nicht auf die Frösche zu treten, die unseren Weg kreuzen. Es war ungeschickt, den Workshop ausgerechnet in Priseberg zu veranstalten, wo jeder weiß, dass hier das Reich der Frösche ist. Priseberg ist voll von Fröschen, kaum ein Stück Boden, dass man betreten könnte, ohne Gefahr zu laufen, einen der kleinen grünen Freunde zu zerquetschen. Frösche haben Vorfahrt in Priseberg.
Ein bratschendes Geräusch durchdringt die Luft. Alle blicken mich an. Ich bin während meiner tänzerischen Bemühungen auf eine Kröte getreten, ohne Absicht, aber in nicht zu verzeihender Nachlässigkeit. Während der Hinterleib des Tieres die Form eines Fladens annimmt, aus dem an allen Seiten Innereien triefen, entfährt dem Kopf des Tieres ein lautloser Schrei im Bewusstsein des baldigen Todes. Die eben noch voller Lebensfreude stolz vor sich hin quakende grüne Amphibie erbleicht, dann sinkt sie hin wie ein vom Indianerpfeil Getroffener in Filmen, die am Rio Grande spielen. Entsetzen macht sich breit. Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Die Musik verklingt. Stille. Dann ein vielstimmiges Schluchzen. Trauernde Frösche heulen mit den Kursteilnehmern um die Wette.
Meine Beteuerungen, nicht in Absicht gehandelt zu haben, verhallen ohne Antwort. Mein Frevel lässt sich nicht entschuldigen. Die Stimmung ähnelt der in einem Dorf in Zimbabwe, wenn ein weißer Farmer das Kind einer afrikanischen Dienstmagd überfahren hat.
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