Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Chemiekatastrophe, in der anderen wird ein Bahnhof gebaut, in einem Dorf in den Abruzzen wird einer, der es zum Kapitän gebracht hat, in seiner Ehre gekränkt. Es ist alles empörend. Am selben Tag sterben Tausende von Menschen, weil sie sich keine Medikamente leisten können. Leider schaffen sie es nicht bis in die Zeitung. Das Thema ist erst im Sommer wieder dran, wenn sonst nicht viel los ist.
Im Lokalteil geht es um das Programm der „Alten Spinnerei“, in der Kurse für Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen angeboten werden. Die Zuschüsse wurden gekürzt, die Empörung ist groß. Die Meinung des Betreibervereines ist: Wenn die „Alte Spinnerei“ stirbt, wird ein zentrales Element der örtlichen Kultur untergehen. Sollte die „Alte Spinnerei“ aus finanziellen Gründen aufgeben müssen, wird den Menschen in der Umgebung die letzte Möglichkeit genommen, sich sinnvoll zu betätigen.
Schon jetzt sei zu beobachten, dass die geistige Leere unter den Menschen zunehme und Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen gäben den Menschen Gelegenheit, in einer entfremdeten Welt ihre Mitte wiederzufinden. Viele Menschen atmen flach und ohne Tiefe, dies sei Ursache vieler Konflikte, so der Geschäftsführer des Vereines. Dies mache die Menschen krank und ließe sie spirituell veröden. Die Besucher der angebotenen Kurse äußern die Vermutung, dass Profitinteressen in diesem Land über dem berechtigten Interesse der Bürger nachSelbstverwirklichung und entspanntem Atmen stehen. Und die Kurse dürften auf keinen Fall teurer werden, da man sonst mehr bezahlen müsste.
Das Argument der Stadtverwaltung, Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen seien zwar schön und gut, aber Privatsache, und wer daran teilnehmen wolle, solle es doch auch bitte selbst bezahlen, wird als typischer Zynismus der politischen Klasse abgetan. Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen seien wichtige Teilbereiche der Reproduktion, der Mensch sei mehr als ein Werkzeug im Rahmen der Produktionsprozesse, und überhaupt, warum solle Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen nicht bezahlt werden, so lange unsere Truppen in Afghanistan stünden? Für das Töten sei Geld da, aber an der Kultur würde gespart. Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen aber seien friedlich und deshalb der herrschenden Klasse ein Dorn im Auge! Der entspannt atmende Mensch sei selbstbewusst und dadurch kein beliebig manipulierbarer Untertan, weshalb die Herrschenden versuchen würden, Kurse für entspanntes Atmen zu sabotieren. Dies alles sei Teil einer perfiden und zynischen Herrschaftstechnik, der alltäglichen Repression, gegen die wir uns wehren müssten! Ein Kulturzentrum gehöre in den Bereich Bildung und Kultur, und Bildung müsse per se umsonst sein und Kultur erst recht!
Eine kleine Gruppe baut einen Sarg aus Pappe, auf dem die Aufschrift „Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen“ steht. Sie formen einen kleinen Protestzug. Die These der Demonstranten lautet: Ohne Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen würden wahrscheinlich viele Menschen ihren Lebensinhalt verlieren, wennnicht sogar ihren Lebensmut und Lebenswillen. So lautet die Frage, um die es wirklich geht: „Muss es erst Tote geben, bis die Politik bereit ist einzulenken? Ist denn ein Menschenleben heute nichts mehr wert?“
Die Stadtverwaltung legt in der Folge Wert auf die Feststellung, dass die Streichung von Workshops in den Bereichen Folkloretanz, Handarbeit und Entspanntes Atmen nicht gleichzusetzen sei mit Mord und Totschlag, worauf die Kulturinitiative kontert mit dem Hinweis: Wehret den Anfängen! Die Fronten sind verhärtet.
Die Stadtverwaltung hat auch noch andere Sorgen. Die Bürger sind unzufrieden mit der Abfallentsorgung, der Ampelanlage an der Schiefergasse und einem im Winter ungestreuten Waldweg am Dickelsbach. Die Verwaltung verweist auf ökologische Gründe, während die Bürger geltend machen, dass bereits alte Menschen und Behinderte hätten sterben können, wenn sie bei einem Spaziergang am Dickelsbach in Blitzeis geraten wären. Gott sei Dank verirren sich niemals alte Menschen und Behinderte an den Dickelsbach. Es ist dort noch nie ein Alter oder Behinderter gesehen worden, schon weil der Dickelsbach tief im Wald liegt, wo er von Alten oder Behinderten kaum erreicht werden kann. Man müsse deshalb auch fragen dürfen, ob der Verlauf des Dickelsbaches nicht als behindertenfeindlich beurteilt werden müsse und was deshalb zu tun
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