Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
geflickt, Bücher gelesen und Gräber gegossen werden. Kranke müssen gepflegt, Frauen müssen geliebt, Urlaube müssen gemacht und Drecksäcke müssen verachtet werden. Das ist alles in einem Leben kaum zu schaffen! Zumindest nicht so, dass man am Ende, in der letzten, armseligen Sekunde dieses so kläglich kurzen Daseins, nicht denken würde: „Das war’s schon? Hätte ich nicht noch einiges zu erledigen gehabt? Was soll‘s? Jetzt ist es auch egal.“
Dann verbraucht man noch ein bisschen Sauerstoff und scheidet dahin. Das klingt profan, geradezu lächerlich. Davor lagen aber, zumindest in den meisten Fällen, Jahre des unerklärlichen Daseins, einem Wunder, das wir viel zu selten als Chance begreifen, deren Sinn sich uns vielleicht nicht gleich in den ersten 100 Jahren erschließt, aber egal! Umso weniger wir wissen, was wir tun sollen, umso mehr sollten wir das Leben als Verpflichtung empfinden. Da unser Leben offenbar einem größeren Ganzen angehört, das wir nicht überblicken, sollten wir das Beste daraus machen. Mehr kann man nicht tun.
Was ist dieses Beste? Zunächst einmal: frühstücken! Wir sollten ausgiebig frühstücken! Ein Leben, in dem das Frühstück nicht mehr ist als eine in Hektik eingenommene Mahlzeit, also bloße Kalorienaufnahme zur Erhaltung der Lebensfunktionen, ist kein Leben!
Iss und trink ausgiebig! Wir sind nicht für Askese geboren worden! Wir haben fünf Sinne! Das sollte uns Verpflichtung sein! Wir sollten sie nutzen, unsere Riech-, Tast-, Schmeck-, Seh-und Hörorgane! Wir sollten fühlen, riechen, lecken, schmecken, gucken, hören und anpacken. Alles andere ist unnatürlich!
Wer doof in der Ecke sitzt, anstatt seiner göttlichen Verpflichtung zum genüsslichen Leben nachzugehen, begeht Sünde! Das ist meine tiefe Überzeugung. So tief, das ich den Satz wieder und wieder lesen und vortragen könnte: Wer doof in der Ecke sitzt, begeht Sünde!
Ich stelle fest, dass ich einen guten Messias abgeben würde. Ich bin in der Lage, Gebote zu formulieren, die jedem Trottel einsichtig erscheinen müssten. Tu dies! Lass das! Das gefällt mir. Die ganze Welt sollte verpflichtet werden, mir zu gehorchen. Ich würde diese Macht nicht ausnutzen! Ich würde sie gebrauchen, um unsere Erde zu einem angenehmeren Ort zu machen, einem Platz der Liebe und der Zärtlichkeit! Ich würde lange Gewänder tragen und barfuß laufen, um das Jesusartige meiner Existenz auch in Outfit und Lifestyle zu offenbaren.
Dann würde ich die Menschen bitten, mir zu Diensten zu sein, dienstlich und geschlechtlich. Jeder sollte etwas davon haben! Ich wäre ein guter König. Allerdings hätte ich dann sehr viel zu tun, und mein traditionell fauler Montag würde ausfallen. Ich müsste herrschen, anstatt mich in Ruhe von den Strapazen der letzten Woche zu erholen. So hat auch das Untertanendasein Vorteile. Ich lehne mich zurück. Man muss nicht stricken oder tanzen, um entspannt zu atmen. Es ist ein guter, fauler Tag.
09 17
Ich habe die Sonntagszeitung noch nicht zu Ende gelesen! Das wird nun nachgeholt. Im Feuilleton setzt man sich mit der sozialpolitischen Zukunft auseinander und schlägt vor, künftige Generationen gesellschaftlich zu integrieren, indem man sie per öffentlichem Dekret der Elternschaft entreißt und in staatlich kontrollierten Anstalten hochzieht. Das nennt man Kita-Pflicht.
Ich muss dazu sagen: Ich habe nichts gegen Kindertagesstätten, im Gegenteil, sie sind eine sehr sinnvolle Einrichtung! Viele Eltern müssen ihre Kinder schon aus beruflichen Gründen in eine Kindertagesstätte geben, ob sie wollen oder nicht. Erst die Kita ermöglicht ihre Berufstätigkeit. Gut so! Viele behaupten auch, Kinder, die in Kitas aufwachsen, seien sozialer oder verantwortungsvoller oder sonstwie besser drauf. Das mag in Einzelfällen stimmen. Es gibt allerdings auch Kinder, die aufgrund ihrer Erziehung im Elternhaus sozialer oder verantwortungsvoller oder sonstwie besser drauf sind als andere. Den Eltern ihre Kinder per Gesetz zu enteignen erinnert an alte Traditionen der Vergesellschaftung des Menschen, wie wir sie aus dem fernen Nordkorea oder dem stalinistischen Albanien kennen.
Es war bisher das Privileg militärischer Zwangsstaaten, den Eltern die Aufzucht ihrer Kinder per Gesetz zu entziehen, im antiken Sparta beispielsweise. Dort diente Erziehung ausschließlich dem Wohl der Gemeinschaft. Der Spartaner gehorchte nicht sich selbst, sondern der Gruppe. Bis zum 8. Lebensjahr wurden die Kinder von einer Amme
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