Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Joghurt. Gut, dass ich nicht in einer Wohngemeinschaft lebe. Mein Kühlschrank ist mein Eigentum, also irgendwie auch ein Symbol meiner bürgerlichen Gesinnung. Bin ich ein Volksfeind? Eher nicht. Ich freue mich über den Arbeiter, der meinen Joghurt so prima hergerichtet hat, und hoffe, dass er keine Scherze damit gemacht hat. Er ist gelblich, schmeckt aber einwandfrei nach Bananenaroma, das zwar Bananenaroma heißt, aber mit Banane so viel zu tun hat wie ein weißes Gummibärchen mit einer Ananas, deren Geschmack es angeblich verkörpern soll. Wahrscheinlich schmeckt Bananenaroma einfach viel mehr nach Banane als eine Banane.
    Während ich den im Rahmen der internationalen Ausbeutung produzierten Becher leere, denke ich darüber nach, woher Darmstädter Sozialisten wissen, dass es in der Urzeit Kommunismus gab.
    Vielleicht gibt es in Darmstadt jemanden, der damals schon gelebt hat. Wenn, dann ist er sicher in der Partei.
    Löffelnd stelle ich mir vor, wie das Leben im Urkommunismus ausgesehen haben könnte. Leider weiß die Wissenschaft nicht so viel wie unsere Darmstädter Sozialismustheoretiker, aber wenn ich mich recht erinnere, gibt es Hinweise, die daran zweifeln lassen, dass es sich damals um ein Arbeiterparadies handelte. Man starb häufig mit 23 an Karies. Der Bohrer wurde ja erst viel später erfunden, übrigens im Kapitalismus!
    In der Urzeit war das Leben ein Kampf. Weisheitszähne wurden durch Enthaupten entfernt. Dann trank man ausdem Schädel Honigbier und wunderte sich des Lebens. Ab und zu massakrierte man Schwächere, wenn sie noch etwas zu essen übrig hatten. Der Begriff „Urkommunismus“ spiegelt diese Verhältnisse nicht wirklich wider!
    Im wirklichen Kommunismus herrscht Vollkommenheit. Alle sind gleich und frei! Fußballspiele haben unentschieden zu enden, auch wenn die Freiheit den Sieg ermöglicht! Da aber die Niederlage nur die Antithese des Sieges ist, gilt der Sieg als These, nicht aber als Synthese, die bei Punktgleichheit alle zum Meister erklärt; auch die Schwächeren, die es aber gar nicht gibt, denn in vollkommener Gleichheit sind alle stark.
    So glaubt man in Darmstadt. Allerdings ist fundamentaler Bestandteil des Glaubens, dass er irren kann. Aber was das Unfehlbarkeitsdogma für den Papst, ist die Dialektik für den Kommunisten. Katholizismus und Kommunismus sind eben gleichermaßen Erlöserreligionen, der eine mit auferstandenem, der andere mit einem verstorbenen Messias: Karl Marx, nicht von Nazareth, aber immerhin von Trier. Und wahrscheinlich bald schon von Darmstadt. Man wird sehen. Mein Joghurt ist leer.
    10 17
Immer wieder gleite ich gedanklich ab. Dann sackt mir der Kopf zur Seite, und das Licht verschwimmt. Ich sinke hinab ins Körperinnere. Die Arbeiterschaft im Magen ist viel unzufriedener, als ich dachte. Sie fluchen und schimpfen. Nie hätten sie Ärger gemacht, immer ihren Dienst zur allseitigen Zufriedenheit verrichtet, nun aber sei Sabbat! Diese Ansicht ist verzeihlich, woher soll man da unten wissen, dass Montag ist?
    Unzufriedenheit ist der beherrschende Zustand. Die Bakterien und Körperteile fühlen sich unter Wert verkauft und zetteln einen Aufstand an. Sie wollen den Mageninhalt durch die Speiseröhre nach oben pumpen und anschließend auf den Parkettboden in der Küche erbrechen. Woher wissen sie, dass in der Küche Parkett liegt? Sie scheinen Verbündete zu haben, vielleicht im Hirn, vielleicht auch in der Nähe der Augen. Die Lage ist prekär. Das Unwohlsein des Gesamtorganismus nimmt zu.
    Im Verdauungstrakt haben Kommunisten das Zepter übernommen. Sie sind der Meinung, dass der Darm ein ebenso wichtiges Organ sei wie das Gehirn und dass der hierarchische Aufbau des Körpers, also die Unterteilung in Befehlsgeber, Befehlsübermittler und Befehlsempfänger historisch rückständig sei. Ein Körper sei ohne Darm nicht lebensfähig, deshalb müsse der Darm auch in finanziellen, medizinischen, allgemein lebensplanerischen Fragen sowie bei der Auswahl der Speisen und des Fernsehprogramms gleichberechtigt mitreden dürfen, also auf Augenhöhe mit dem Hirn, wenn man das in diesem Fall so ausdrücken darf.
    Einzelne Intellektuelle verweisen auf die Existenz eines sogenannten Darmhirnes, einem Konglomerat aus Abermillionen Nervenzellen, die mit dem Hirn in regelmäßigem Informationsaustausch stehen und synapsenartige Strukturen bilden, also scheinbar ähnliche Funktionen ausüben wie Hirnzellen. Ich google und stelle fest: Es stimmt! Man sollte viel öfter