Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Deckel befinden. Außerdem bin ich tot, was der Sehkraft nicht zuträglich ist. Ich falle. Ich wache auf. Blutauf meinem T-Shirt. Ich bin beim Träumen mit dem Kopf gegen das Türschloss gekippt und habe mir eine kleine Wunde an der Schläfe zugezogen. Nichts Schlimmes. Ich werde meine Pakete in Zukunft fragen, ob sie einverstanden sind, bevor ich sie öffne.
11 59
Immer noch bin ich dösig. Ich denke an einen Strand. Kinder graben, Väter stehen dabei und blicken stolz auf die herausragenden architektonischen Fähigkeiten ihrer Thronfolger, die offenbar in der Lage sind, in einem Sandhaufen das statische Konzept einer Burg zu erkennen. Mütter schwimmen.
Ich wundere mich darüber, wie wenig die Menschen darüber nachdenken, wie vollständig sinnlos ihre ewige Reproduktion ist, die automatisierte Weitergabe von Erbinformation von Generation zu Generation, in alle Ewigkeit, ziellos und reiner Selbstzweck. Ein Schüppchen für Opa, ein Schüppchen für Papa, ein Schüppchen für den kleinen Bruder, dieses nervende Bündel, dessen Existenz ein guter Gott verhindert hätte.
Spüre ich gerade ein misanthropisches Lebensgefühl in mir? Eine tief im Inneren verborgene Menschenverachtung? Warum nur? Wo kommt das her? Ich bin doch eine Frohnatur!
Nur weil sich der Mensch seit Jahrtausenden massakriert, übervorteilt und betrügt, weil er unfähig ist, mit seinesgleichen in Frieden zu leben, weil er ein Drecksack und Gauner ist, ein Kriegstreiber, ein Mörder, ein Dieb und Folterknecht, muss man den Menschen doch nicht niedrig schätzen. Man muss doch auch das Positive sehen.Immerhin erfand der Homo sapiens die Teflonpfanne, das künstliche Kniegelenk und den Birnengeist!
Außerdem gibt es auch liebenswürdige Zeitgenossen, meist auf vier Beinen und deshalb der Gattung Mensch nicht zu 100 Prozent zugehörig, aber immerhin! Viele Menschen sind anständig und verzichten darauf, alten Mütterchen das Ersparte zu rauben oder ins Becken zu pinkeln, behaupten sie jedenfalls, obwohl hinter ihnen eine zartgelbe Wolke schwimmt. Habe ich vergessen zu erwähnen, dass der Mensch auch lügt?
Man sollte nicht vergessen: das Unvollkommene am Menschen ist manchmal auch sympathisch, ein kleiner Sprachfehler, ein Haken als Ersatz für eine irgendwo in der Hektik des Tages verlorene Hand oder einfach geistige Umnachtung. Es gibt Menschen, die nicht einmal wissen, dass Meeresströmungen auf der Südhalbkugel andersherum kreisen. Na und?
Ich will den Rest des Tages positiver denken! Man sollte am Menschen nicht verzweifeln! Gut, Ameisen sind fleißiger, Wellensittiche bunter, und das Fell der Otter hat bis zu 100.000 Haare pro Quadratzentimeter. Dafür kann der Mensch Zeitung lesen oder falsch parken. Jeder kann irgendetwas. Die einen scharren mit den Hufen, die anderen käuen wieder, der Mensch aber ruft „Scheiß die Wand an, bin ich kaputt!“, zieht sich die Westernstiefel aus und legt sich vollgesoffen in Klamotten schlafen. Das sollte man respektieren!
Zu verzweifeln hätte ja auch gar keinen Sinn. Was sollte man auch tun? Man kann ja nicht schon mittags anfangen zu saufen – beziehungsweise: kann man schon, sollte man aber nicht.
12 30
Irgendwann habe ich mir vorgenommen, jeden Mittag alles am Tage bisher Vorgefallene zu rekapitulieren und das Positive hervorzuheben. Wohlan! Die Zeugen Jehovas haben nicht geschellt. Kein Islamist hat versucht, mich als Konvertiten zu gewinnen. Ich habe Kaffee getrunken, mich in der Zeitung über die Geschehnisse des letzten Tages informiert, den Straßenbauer ignoriert, ein bisschen Menschenhass herausgelassen und geträumt. Alles in allem: ein guter Tag bisher.
12 31
Wenn man tief in sich hineinhorcht, wird einem schnell bewusst, dass unser Hirn andauernd damit beschäftigt ist, Wahrnehmung, Erinnerung und Fantasie zu vermengen. Vermeintlich objektive Realität verspinnt sich mit subjektiv Wahrgenommenem, Erinnertes wird umgeformt, bis Dichtung und Wahrheit nicht mehr zu trennen sind. Das Hirn ist ein lyrisches Talent zwischen Poesie und Trash.
Gerade gerät ein Vorgang aus meiner Vergangenheit in mein geistiges Blickfeld, warum auch immer. Ich erinnere mich an ein Wissensquiz im Fernsehen. Ein Kandidat wird mit der Frage nach Singvögeln seiner Heimat konfrontiert. Es ist ganz offenbar das erste Mal, dass er sich fragt, wie die fliegenden Federträger heißen, die da in den Lüften oberhalb seines Hauses ihr Unwesen treiben und ab und zu aus purer Boshaftigkeit vor seine frisch geputzte
Weitere Kostenlose Bücher