Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
lehne eine Vertragserweiterung ab mit dem Hinweis auf mein baldiges Ableben. Meine Frage, ob es auch einen Spezialvertrag für meine Prostata gäbe, die es dem Organ ermögliche, eigenständig Kontakt zur urologischen Notfallleitstelle aufzunehmen, will der fleißige Mitarbeiter erst noch einmal recherchieren. Er meldet sich noch einmal. Danke!
16 30
Eigentlich bin ich überhaupt nicht abergläubisch. Die meisten Reiche, die ihre lebenswichtigen Entscheidungen auf Horoskope stützten, sind zu Recht untergegangen.
Dennoch haben Orakel auch immer wieder Recht behalten. Als König Kroisos die Nachricht erreichte, dass er beim Überschreiten des Halys ein großes Reich zerstören würde, und er daraufhin frohen Mutes einmarschierte, war er dämlich genug, nicht in Betracht zu ziehen, dass damit sein eigenes Imperium gemeint sein könnte. Aber die Vorhersage stimmte.
In der Geschichte der Menschheit aber haben sich Orakel oft genug auch geirrt. Krake Paul hat bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 vielleicht alle Spiele der deutschen Mannschaft richtig getippt, am Ende aber zugeben müssen, dass er nicht mal die Aufstellung der Halbfinalmannschaft korrekt aufsagen konnte, was zugegebenermaßen auch für mich unter Wasser nicht einfach gewesen wäre.
Dass Menschen immer wieder glauben, die Zukunft sei vorhersehbar, ja möglicherweise sogar zu kontrollieren, hängt mit dem Mechanismus der Informationsverarbeitung im Gehirn zusammen. Wenn zwei Ereignisse aufeinander folgen, dann neigt das Gehirn dazu, einen kausalen Zusammenhang anzunehmen. Wenn wir beispielsweise betrunken in den Vorgarten pinkeln, dann halten wir den wenig später einschlagenden Blitz für eine Strafe Gottes.
Immerfort stellen wir so Zusammenhänge her, die gar nicht existieren. Man trinkt eine Flasche Wodka, und kurzdarauf ist man betrunken. Reiner Zufall. Der Wachtmeister aber ist Esoteriker und behält die Fahrerlaubnis ein. Irrational, aber hirnphysiologisch verständlich.
16 05
Im Kreisverkehr vor der Tür hat sich ein Unfall ereignet. Zahlreiche Menschen haben sich versammelt und betrachten den immensen Blechschaden als Bereicherung ihres Alltags. Es wird diskutiert. Der Fahrer des Kleinwagens war zwar im Recht, aber offenbar knapp über 90 Jahre alt, was die Frage nach sich zieht, ob er nicht wegen der aus Eigensinn herbeigeführten Teilnahme am Straßenverkehr per se schuldig ist, denn wenn er nicht gefahren wäre, wäre auch nichts passiert. Das stimmt, gilt aber auch für Unfallteilnehmer, deren Alter 61, 44, 23 oder 13 ist.
Der zirka vierzigjährige Familienvater kam zwar von links, war aber grundsätzlich fahrtauglich, wenn man von einer Brille absieht, deren Dicke einen Glasbaustein imitiert, und einem Alkoholgeruch, der es ratsam erscheinen lässt, keine brennenden Gegenstände aus dem Wagen zu werfen. So etwas wird häufig im Verkehrshinweis erwähnt: „Keine brennenden Gegenstände aus dem Wagen werfen!“ Gut, damit werden Zigaretten gemeint sein. Was sonst soll in einem Wagen brennen? Natürlich sollte man auch keine brennenden Wandschränkchen aus dem Wagen werfen, aber wer transportiert schon brennende Wandschränkchen?
Das erinnert mich an die Beschriftung einer Spedition, die es schon lange nicht mehr gibt: „Wir transportieren alles!“ Wahrscheinlich wurde ihnen genau das zum Verhängnis: brennende Wandschränkchen, die den Wagenparkvernichteten, wilde Tiere, die die Fahrer fraßen, Weltraumraketen, die die LKWs aus der Umlaufbahn katapultierten. Am Ende hörte die Versicherung auf zu zahlen. Das war’s.
Ein ebenfalls beteiligter Jugendlicher, der völlig schuldlos durch fliegende Splitter verletzt wurde, gilt aufgrund seines verwahrlosten Aussehens für die meisten Anwesenden trotz seines unverdienten Pechs nicht als bemitleidenswert. Er hätte sich erst einmal was Vernünftiges anziehen können. Dann wäre er fünf Minuten später vorbeigekommen und hätte vom Unfall gar nichts mitbekommen. Gutes Argument!
Im Grunde gilt das Gleiche für den Zweiten Weltkrieg. Wenn Hitler 200 Jahre vorher einmarschiert wäre – und statt in Polen beispielsweise in Sambia, dann wäre Stalin sicher positiv überrascht gewesen. So ist die menschliche Geschichte immer wieder ein Spielball des Zufalls. Und es ist der Zeitpunkt, der über alles entscheidet. Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: „Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.“ Wahrscheinlich hatte sie einen älteren
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