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Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Nuhr
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sie sie nur selten einsetzen. Jahrtausendelang war es das Prinzip der Wehrfähigkeit, Waffen zu besitzen, um sie dann auch zu benutzen. Gewinnbringend war das meist nur für wenige. Seit Erfindung der Atombombe aber sind Kriege so gefährlich geworden, dass sie nur noch in abgelegenen Krisengebieten stattfinden können. Das ist ein großer Fortschritt!
    Allerdings hat das auch Nachteile. Hätte mein ganz spezieller Freund, der Falschparker, ein bisschen mehr Angst vor dem Einsatz speziell auf ihn gerichteter Nuklearsprengköpfe, würde er vielleicht einen richtigen Parkplatz suchen, der nicht den Bürgersteig so einengt, dass man die Straßenseite zwei Mal wechseln muss, um ins Haus zu gelangen. Leider habe ich auch keine albanischen oder rumänischen Freunde: also solche, die in der Lage wären, auf Basis einer gettoisierten Erziehung Drohungen auszusprechen, die bei unsozialen Elementen, die der Allgemeinheit durch ihre Parkgewohnheiten auf die Nerven gehen, Furcht vor körperlichen Konsequenzen auslösen könnten.
    Ich selbst bin Kriegsdienstverweigerer, verweichlicht und deshalb zu nichts in der Lage, was mit Hauen oder wenigstens der Androhung von Haue zu tun hat. Nachts meide ich schlechte Wohnviertel, wenn ich in Johannesburg oder São Paulo bin, aus purer Angst vor Raubmord oder körperlicher Aggression mit Waffengewalt. Das mag spießig erscheinen, ist aber meiner Erziehung geschuldet. Ich bin Beamtenkind! Ich habe erst mit über 30 erfahren, dass der Tod kein Mythos ist, sondern eine Tatsache, die auch mit Versicherungen oder jährlichem Arztbesuch nicht aus der Welt zu schaffen ist. Es ist nichtauszuschließen, dass auch ich irgendwann ableben werde. Eine schreckliche Erkenntnis, die mich damals traf wie ein Hammerschlag!
    Ein zweites Bier muss her. Nicht dass der Gebrauch von geistigen Getränken ein probates Mittel wäre, Todesängste aus der Welt zu schaffen, im Gegenteil! Alkohol löst keine Probleme! Ich wiederhole: Alkohol löst keine Probleme! Aber ich will heute nicht auf Grundsätze achten, sondern alles einfach fließen lassen, auch das Bier, wenn es sein muss. Und es muss sein! Ich höre meinen Körper rufen: Drink doch eene mit! Stell disch nidde so ahn! Mein Körper war offenbar zu oft in Köln.
    Was soll’s? Die zweite Flasche, das geht doch! Wenn eine andere Samenzelle als jene, aus der ich entstand, das Rennen um ihr Leben gewonnen hätte, hätte ich vielleicht schon das vierte Bierchen intus. In meiner Familie neigte man niemals zur Askese, ja, es ist vielleicht sogar nicht verwegen zu behaupten, eine gewisse Veranlagung zur Trunksucht sei in unserer Linie nicht von der Hand zu weisen.
    Mein Vater behauptet, seine Abstammung ließe sich möglicherweise auf eine Magd August des Starken zurückführen, die sich vom Kurfürsten selbst bespringen ließ, im sicheren Bewusstsein der sozialen Vorteile, die nur eine einzige erfolgreiche Samenzelle mit sich bringen könnte, weiß man doch, dass sich ein guter Fürst seiner Verantwortung nicht entzieht, vor allem, wenn ihm die Kinder wie aus dem Gesicht geschnitten sind, Leugnen zwecklos ist und der Vorwurf der gewaltsamen Begattung in den Raum geworfen wird …
    Im Grunde sei es also blaues Blut, das durch unsere Adern fließe, und es sei Bestimmung meines Vaters, die genetische Konstitution des aus der albertinischen Linie des Fürstengeschlechts der Wettiner stammenden Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen bis in unsere Tage fortzuschreiben. Darauf ein Bierchen! Denn gesoffen wurde nicht schlecht damals, als sich der edle Herrscher, Saufbold und Hurenbock, die Bedienstete in die Besenkammer lud und dadurch die Linie derer von uns zeugte, unzählige Spermien, ein Ei, das große Rennen, ein Sieger unter Millionen …
    War es wirklich so, wie es mein Vater gehört hat, von wem auch immer? Beweise gibt es nicht.
    Mütterlicherseits gibt es angeblich ebenfalls adelige Vorfahren, aus Meckfeld vielleicht, einem Weiler, der östlich von Klettbach liegt, auf einer Hochebene, von der man über Bad Berka auf die Landesstraße 1052 kommt, die zur Bundesautobahn 4, Anschlussstelle Erfurt-Ost führt. Dort wohnte im Mittelalter, also vermutlich noch vor dem Autobahnbau, das Adelsgeschlecht derer „von Ziege“, Vorfahren unsererseits, so will es die Sage, die meine Tante Hedwig streute, eine ganz und gar edle Frau, die ihre adelige Herkunft durch einige kleinere Erbschleichereien untermauerte. Sie arbeitete pflegerisch im Altenheim, ohne Bezahlung,

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